Schilfrohre sind sehr biegsam und brechen deshalb bei Sturm nicht. – Foto: 652234/pixabay.com

Wirtschaft & Soziales

Wie ein Schilfrohr im Sturm

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Ein deutscher, in den USA lehrender Wirtschaftsprofessor beschäftigt sich gerne mit den Dingen, die nicht gut funktionieren. Während der Corona-Pandemie veröffentlichte er ein Buch über Resilienz. Er geht darin der Frage nach, was wir tun können, um künftige Krisen besser zu bewältigen.

von Günther Hartmann

 

Markus Brunnermeier traf mit seinem Buch „Die resiliente Gesellschaft“ genau den Nerv der Zeit. Es sorgte für großes Aufsehen und wurde 2021 mit dem „Deutschen Wirtschaftsbuchpreis“ ausgezeichnet. Brunnermeier geht darin der Frage nach, wie Staaten sich besser auf Krisen vorbereiten und diese besser bewältigen können. Mit der Thematik beschäftigt er sich schon lange. Weil vieles, was labil aussieht, stabil ist, und vieles, was stabil aussieht, labil ist. Dass sein Buch just während der Corona-Pandemie erschien, ist eher Zufall. Pandemien werden darin zwar als mögliche Krisenursachen genannt, des Weiteren aber auch Finanzblasen, Klimaerwärmung, Energieknappheit, Cyberangriffe und anderes.

Flexibilität statt Stabilität

Was wir unter Resilienz verstehen sollen, erläutert Brunnermeier anhand von Jean de La Fontaines Fabel „Die Eiche und das Schilfrohr“: Die beiden streiten sich, welcher von ihnen der Stärkere sei. Die Eiche trotzt starkem Wind standhaft wie ein Fels, während das Schilfrohr sich schon bei einer leichten Brise zu biegen beginnt. Je heftiger der Wind, desto mehr biegt sich das Schilfrohr. Doch selbst bei einem heftigen Sturm bricht es nicht – der Stamm der Eiche allerdings schon. Diese Eigenschaft des Schilfrohrs brauchen unsere Gesellschaften, meint Brunnermeier. Sie sollten nach einer Krise zurückfedern können. Deshalb sollten wir Krisen nicht vermeiden, sondern lernen, mit ihnen sinnvoll umzugehen.

Brunnermeier sieht hier eine Analogie zum menschlichen Immunsystem: „Eine Möglichkeit ist es, solche Reaktionsmuster dadurch zu erlernen, dass man gelegentlich kleinen Schocks ausgesetzt ist. Um Antikörper und Resistenz gegen Keime zu entwickeln, muss das Immunsystem ihnen ausgesetzt sein.“ Das lässt sich auf Gesellschaften übertragen: „Einen kleineren Schock erfahren zu haben, hilft, mit künftigen Schocks besser umzugehen.“ Resilienz lässt sich erlernen, indem man ab und zu Risiken ausgesetzt ist, statt sie grundsätzlich vermeiden zu wollen. Es gilt, die Comeback-Fähigkeiten zu trainieren und zu stärken.

Neuer Gesellschaftsvertrag

Wichtig ist, dass der Staat die Bürger mitnimmt und über das Vorhaben offen informiert. Brunnermeier spricht von einem neuen Gesellschaftsvertrag, den es zu schließen gilt. Dessen Ziele müssen sein: die Verhinderung von unumkehrbaren Teufelskreisen und Kippeffekten sowie das Offenhalten von möglichst vielen Optionen. Dazu braucht es einen vernunftgeleiteten Umgang mit Risiken, statt sie zu verdrängen oder in Angststarre oder Panik zu verfallen. Ein solcher Gesellschaftsvertrag hat aber nur dann eine Chance auf breite Akzeptanz, „wenn die Gesellschaft gerecht und leistungsorientiert ist und sich die Ungleichheiten in Grenzen halten“. Ohne Gerechtigkeit und Chancengleichheit gerät der Gesellschaftsvertrag ins Wanken.

Auch ein neuer Versicherungsvertrag ist sinnvoll und notwendig. Bei dessen Gestaltung sollten wir uns vom Philosophen John Rawls und dessen „Schleier der Unwissenheit“ leiten lassen, uns fragen: Wie würden wir einander versichern, wenn wir noch nicht wüssten, wo und mit welchen Begabungen wir zur Welt kämen? Brunnermeier ist sich sicher: „Die meisten Menschen würden zwar eine gewisse, aber keine allumfassende Versicherung wählen, um Handlungsanreize nicht zu verzerren. Wenn jeder gleich viel erhält, weil man zu 100 % versichert ist, bestehen keine Anreize für zusätzliche Anstrengungen. Eine optimale Versicherung wägt daher die Vorteile der Versicherung gegen die Verzerrung von Leistungsanreizen ab.“

Die Effektivität einer Versicherung hängt auch von der Struktur einer Gesellschaft ab. In einer sehr homogenen Gesellschaft erleiden alle ähnliche Schocks, sodass es keine Risikostreuung und kaum Spielraum für gegenseitige Absicherung gibt. Heterogene Gesellschaften sind deshalb wesentlich resilienter. Brunnermeier sieht hier eine Analogie zur Forstwirtschaft: „Ein Wald, in dem nur eine einzige Baumart wächst, stirbt aus, wenn eine Krankheit auftritt, für welche diese besonders anfällig ist. Ein Mischwald hingegen kann Schocks besser aushalten und ist wesentlich resilienter und nachhaltiger.“

Keine Effizienzmaximierung

In der Wirtschaft müssen viele Selbstverständlichkeiten kritisch überprüft und korrigiert werden: „Wir müssen als Preis für eine höhere Resilienz einen Teil der Effizienz opfern. Bislang haben wir unsere Produktionssysteme nach dem ‚Just-in-Time-Prinzip‘ betrieben: maximale Ströme, minimale Bestände – das Ziel globaler Wertschöpfungsketten. Im Gegensatz dazu hebt die Resilienz auf ein ‚Für-den-Fall-der-Fälle-Prinzip‘ ab: die Fähigkeit, sich nach einem Schock rasch zu erholen. Deshalb macht die Resilienz Redundanzen nicht zur Sünde, sondern zu einer Tugend.“

Als äußerst wichtig erachtet Brunnermeier außerdem, Chaos an den Finanzmärkten zu vermeiden und die Staatsverschuldung tragbar zu halten. Eine Wiederholung der Finanzkrise von 2008, als sich die Staaten hoch verschuldeten, um von Insolvenz bedrohte Banken zu retten, sollten wir deshalb tunlichst vermeiden.

Keine nicht-nachhaltigen Entwicklungen

Doch auch wenn wir resilienter werden: Immer mehr und immer größere Krisen würden uns überfordern. Deshalb muss jede Entwicklung nachhaltig sein. Wann ist sie das? „Eine Entwicklung ist nachhaltig, wenn sie langfristig beibehalten werden kann“, bringt es Brunnermeier auf den Punkt.

Wir dürfen uns nicht nur auf Krisen und deren Meisterung fokussieren, sondern müssen genauso die allgemeinen Entwicklungen aufmerksam beobachten und, wenn nötig, frühzeitig gegensteuern, auch wenn die sich abzeichnende Krise noch weit weg ist. „Resilienz allein genügt nicht für eine nachhaltige Entwicklung“, betont Brunnermeier. „Selbst wenn man nach einem Schock zurückfedert, sieht die Zukunft düster und wenig nachhaltig aus, wenn sich der tiefer liegende Trend langsam und stetig verschlechtert.“

Ohne eine nachhaltige Entwicklung nützt alle Resilienz auf Dauer nicht viel. Es darf deshalb keinen langfristigen Trend geben, der das Leben auf unserem Planeten bedroht.

 


Buchtipp

Markus K. Brunnermeier
Die resiliente Gesellschaft
Wie wir künftige Krisen besser meistern können
Aufbau, August 2021
336 Seiten, 24.00 Euro
978-3-351-03925-7