Ausschnitt aus Michelangelos Deckengemälde „Die Erschaffung Adams“ – Foto: janeb13/pixabay.com

Demokratie & Recht

Schöpfung bewahren?

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Inwieweit soll der christliche Glaube ins Parteiprogramm einfließen? Diese Frage wird am Beispiel des Begriffs „Schöpfung“ derzeit wieder heftig diskutiert.

von Dr. Michael Stöhr

 

Auf dem 60. ÖDP-Bundesparteitag im April 2022 stellte ihre Jugendorganisation JÖ den Antrag, im Bundespolitischen Programm (BPP) die Überschrift des Kapitels 1 von „Schöpfung bewahren“ in „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ abzuändern. Denn „Schöpfung“ spreche Menschen anderer Religionen und Nicht-Gläubige nicht an. Und dies widerspreche dem Grundsatzprogramm (GP), wonach die ÖDP „offen für Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen“ ist. Mit „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ würde das BPP für viele Menschen attraktiver. Die Werte der ÖDP würden stärker betont? Die Überschrift „Schöpfung bewahren“ stünde zwar über einem großen und wichtigen Kapitel, der Begriff „Schöpfung“ komme im Text jedoch kaum vor und sei somit überrepräsentiert.

Dem wurde auf dem ÖDP-Bundesparteitag entgegengehalten, dass der durch „Schöpfung bewahren“ hergestellte Bezug zum Glauben an einen Schöpfergott, insbesondere zum christlichen Schöpfungsglauben, für viele in der ÖDP etwas bedeute und ein Grund ihrer Mitgliedschaft sei. Der JÖ wurde vorgeworfen, ein weiteres Stück des für die ÖDP essenziellen Bezugs zum Christlichen aufgeben zu wollen. Auch der Verlust des Wertkonservativen in der ÖDP wurde angeführt. Der Antrag wurde an die Bundesprogrammkommission verwiesen.

Wer im Wahlkampf oder anderswo Gespräche führt, macht regelmäßig die Erfahrung, dass manche Menschen sich von Religion, speziell vom Christentum, nicht angesprochen, ja abgestoßen fühlen und erschrecken, wenn sie sehen, dass sich die ÖDP darauf bezieht. Aber wird das Programm der ÖDP im Ganzen attraktiver, wenn „Schöpfung bewahren“ durch „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ ersetzt wird? Wo Kanten schwinden, schwindet auch Profil. Ist nicht eher die persönliche Begegnung entscheidend, ob einzelne Mitglieder oder die ÖDP als offen empfunden werden?

Schlichtweg falsch ist, dass „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ die Werte der ÖDP stärker betonen würde als „Schöpfung bewahren“. „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ sind Themen, keine Werte. Wird Kapitel 1 des BPP damit überschrieben, stehen diese Themen an oberster Stelle. Aufgrund welcher Werte ist damit noch nicht gesagt. Wer Themen und Werte gleichsetzt, läuft in die Falle des naturalistischen Fehlschlusses, sprich, unterliegt dem Irrtum, dass sich aus einer Sachlage unmittelbar ergebe, was zu tun sei. Wenn sich für andere ganz anderes unmittelbar ergibt – „das ist doch logisch“, ist der Satz, der dann oft fällt –, ist das Gespräch verbaut und jede Kreativität blockiert.

Die in Kapitel 1 des BPP formulierten konkreten politischen Forderungen sind im Lichte von Werten nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitete Lösungsvorschläge für als Probleme bewertete Sachlagen. Sie ergeben sich nicht unmittelbar und eindeutig, weil Sachlagen unterschiedlich erfasst und bewertet und Werte unterschiedlich gewichtet werden können. Die Forderung „Klimaschutz muss sozial verträglich sein“ ist ein Beispiel dafür.

Nun ist mit der Überschrift „Schöpfung bewahren“ ebenso wenig wie mit „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ unmittelbar und eindeutig gesagt, auf welche Vorstellungen und Werte damit Bezug genommen wird und wie diese zu den konkreten politischen Forderungen in Kapitel 1 des BPP führen. Auffallend ist, dass die Begriffe „Schöpfung“ und „christlich“ im BPP einen sehr überschaubaren Raum einnehmen. Während 122-mal von Energie die Rede ist, 68-mal von Umwelt, 44-mal von Klima und 12-mal von Arten, ist dies nur 2-mal bei Schöpfung der Fall und 1-mal bei christlich.

Außer in der Überschrift zu Kapitel 1 taucht „Schöpfung“ im BPP nur noch in Kapitel 5, „Gesellschaft und Staat demokratisch gestalten“, auf. Unter 5.8, Bildung, ist von „Erziehung zu Ehrfurcht vor allem Leben, Verantwortung im Umgang mit der Schöpfung und den Mitmenschen sowie Bereitschaft zur Mitgestaltung der Gesellschaft und zum politischen Engagement“ die Rede. Im GP kommt „Schöpfung“ gar nur einmal vor: „Aus dieser Achtung heraus sind wir bestrebt, die Lebensgrundlagen aller Lebewesen – von vielen als Schöpfung verstanden – zu erhalten.“ Es ist auch die einzige Stelle, an der erklärt wird, wie die ÖDP „Schöpfung“ versteht: Schöpfung = Lebensgrundlagen aller Lebewesen – eine Gleichsetzung, die zumindest der Erläuterung bedarf.

„Christlich“ taucht in Kapitel 3 des BPP, „Leben schützen – von Anfang bis zum Ende“, auf: „Jeder Fortschritt der Medizin und der Biologie ist deshalb daran zu messen, ob er mit den humanistisch-christlichen Werten, der Menschenwürde und den rechtsstaatlichen Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft vereinbar ist.“ Dort ist auch ein Wertekonflikt angesprochen: „… geraten wie in allen ethischen Fragen auch in der Bioethik Werte in Konflikt miteinander: Die Vermeidung von Leid … und Lebensschutz …“ Werte nehmen im Programm der ÖDP einen großen Raum ein. Insgesamt ist im BPP 15-mal von Werten im Sinne der Ethik die Rede, 5-mal im GP.

„Schöpfung bewahren“ in der aktuellen christlichen Umweltethikdebatte

Überraschend ist nun, dass auch in der christlich geprägten Umweltethikdebatte prominente Kritik an der Formulierung „Schöpfung bewahren“ zu vernehmen ist: „Der Imperativ ‚Die Schöpfung bewahren‘, der sich seit Ende der 1980er-Jahre als umweltethische Leitmaxime etabliert hat, ist sinnlos, wenn man damit meint, dass moralisch verantwortliche Menschen die Natur als Ganzes wie ein Fürsorgeobjekt behandeln und in ihrem jeweiligen Zustand erhalten sollten.“ (Markus Vogt)

Und noch deutlicher: „Bewahrung … wäre Verwechslung von Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf, die am Ende Selbstüberhebung des Menschen wäre.“ (Heinrich Bedford-Strohm)

Zunächst bestätigt diese Kritik, dass die ÖDP in ihren Anfangsjahren die Ergebnisse der christlich geprägten umweltethischen Debatte aufgegriffen und in ein politisches Programm übersetzt hat, was mit der Wahl der umweltethischen Leitmaxime der 1980er-Jahre pointiert zum Ausdruck kommt. Doch dann zeigt sie auch, dass diese Leitmaxime nach Stand der christlichen Umweltethikdebatte nicht mehr uneingeschränkt zu halten ist. Der Kern der innerchristlichen Kritik lautet: Selbstüberschätzung, Selbstüberhebung und Selbstüberforderung.

Ich überspitze: In der Forderung „Schöpfung bewahren“ hallt der Machbarkeitswahn nach, der sich mit der erfolgreichen technischen Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse im 19. Jahrhundert Bahn gebrochen und in den 1960er-Jahren seinen Höhepunkt gefunden hat, nur dass sich dieser Machbarkeitswahn nicht im Bestreben nach immer weiterer „Verbesserung“ der Welt durch Technisierung, sondern in dem Ansinnen zeigt, sie zu bewahren, wie sie ist.

Nachdem es bis Mitte des 19. Jahrhunderts kaum vorstellbar war, was Menschen alles tun, aber auch zerstören können, und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits die Grenzen des Machbaren, andererseits ein nochmals größeres Zerstörungspotenzial, die Möglichkeit der Vernichtung der Lebensgrundlagen der Menschheit, in den Blick, gerieten, stehen wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut vor einer grundsätzlich veränderten Situation: Es ist mittlerweile sicher, dass die Lebensgrundlagen der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten zumindest in Teilen der Welt und zumindest für einige Zeit durch die menschengemachte Klimakatastrophe, dramatisches Artensterben und massive Umweltschäden zerstört werden.

Sie können nicht mehr bewahrt werden. Drei planetare Grenzen sind schon überschritten: die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre, die Verbreitung neuer chemischer Substanzen und Organismen in die Umwelt sowie der Verlust der genetischen Vielfalt.

Kapitel 1 des BPP präsentiert Vorschläge, wie die Zerstörung der dadurch gefährdeten Lebensgrundlagen zumindest noch begrenzt werden kann. Damit rückt, eben weil er akut gefährdet ist, ein Wert in den Mittelpunkt: der möglichst weitgehende Erhalt der Lebensgrundlagen. Offene Fragen sind: Wie kann es gelingen, dass die Menschheit als Ganzes ihr kollektives Verhalten so ändert, dass möglichst große Teile der Lebensgrundlagen erhalten bleiben? Und was ist, wenn das nicht gelingt?

In dieser Situation kann 40 Jahre nach Gründung der ÖDP christliche Umweltethik durch ihren Rückgang zu den biblischen Quellen eine Orientierung und eine Alternative zum mittlerweile unüberschaubaren Basar alternativer Heilslehren und Weltanschauungen bieten. Denn nach ihr ist „die Natur … eine offene, sich evolutionär entwickelnde Ordnung und kein möglicher Gegenstand des statischen Bewahrens“. „‚Schöpfung‘ ist dabei … eine spezifische Perspektive der Wahrnehmung, die die Natur als geschenkte, nicht selbstverständliche und nicht beliebig verfügbare, jedoch segensreiche und lebensfördernde Daseinsvoraussetzung erkennt.“ „Schöpfung ist ständig im Werden, sie ist ein unaufhörlicher kreativer Prozess.“ (Markus Vogt)

Naturwissenschaften können Klima, Umwelt und Artenvielfalt und die Grundgesetze ihrer Entwicklung beschreiben und Voraussagen treffen. Technik kann diese Entwicklung beeinflussen. Aber beide, Naturwissenschaft und Technik, können keine umweltethische Orientierung bieten, sie können nur innerhalb eines ethischen Orientierungsrahmens Sachverhalte bewerten und Lösungen für Probleme aufzeigen. Christliche Umweltethik bietet einen Orientierungsrahmen und „Schöpfung“ ist darin mehr als ein Etikett auf dem Basar der Weltanschauungen.

Wenn Werte in Konflikt geraten, ist Ethik gefragt

Notwendig wird Ethik als wissenschaftliche Disziplin dann, wenn in Sachdebatten sichtbar wird, dass Werte in Konflikt geraten und sich ethische Dilemmata entfalten. Aktuelle kontroverse Fragestellungen, wo dies der Fall ist, sind zum Beispiel: Wie kann der Übergang in eine klimaneutrale Lebens- und Wirtschaftsweise sozial verträglich gestaltet werden? Dürfen Windkraftanlagen Vögel in einigen, nicht allen Gebieten beeinträchtigen, damit der Umstieg auf erneuerbare Energien schnell genug vorangeht und die Klimakatastrophe noch begrenzt wird? Dürfen Flächen für Radschnellwege versiegelt werden, damit die Mobilitätswende gelingt? Dürfen Tiere gehalten und gegessen werden?

Alle diese Fragen erfordern zunächst eine differenzierte Betrachtung von Sachlagen und Handlungsmöglichkeiten. Doch ab einem bestimmten Punkt haben sie mit Werten zu tun und oft mit Wertkonflikten.

Umweltethik als wissenschaftliche Disziplin erlaubt nun, über solche Dilemmata systematisch nachzudenken und Lösungswege aufzuzeigen. Es muss nicht zwingend christliche Umweltethik sein, auf welche die ÖDP zugreift, aber deren Angebot ist zumindest zu prüfen. Wird es aufgegriffen, muss die Weise, in der es in die Formulierung ethischer Grundsätze und praktischer Politik mündet, „für Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen“ (GP) annehmbar sein, aber nicht von allen Menschen angenommen werden. Es gibt auch noch andere politische Angebote – und die ÖDP darf, ja sollte sich von diesen durchaus unterscheiden.

Schlüsselbegriffe müssen allen aufschließen

Der „Kreuz-Erlass“ der Bayerischen Staatsregierung von 1995 ist ein Beispiel, wie man nicht mit etwas umgehen sollte, das Anhängern einer Religion etwas bedeutet, für andere annehmbar sein muss, und das integrieren, nicht ausgrenzen soll. Laut offizieller Begründung der Bayerischen Staatsregierung soll das Kreuz ein „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung“ sein. Das Kreuz wird so zu einem Etikett gemacht und auf die falsche Ware aufgeklebt, um klarzustellen, wer im Laden nicht erwünscht ist.

Der Zusammenhang zwischen dem Kreuz und den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung ist mitnichten der wichtigste, für einige gar nicht gegeben und für die allerwenigsten offensichtlich. Dagegen ist nur allzu offensichtlich, dass es darum auch gar nicht geht. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, meinte dazu: Das Kreuz „… ist ein Zeichen des Widerspruchs gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod, aber kein Zeichen gegen andere Menschen. Ein Kreuz aufhängen heißt: Ich möchte mich an den Worten dessen orientieren, der am Kreuz für die ganze Welt gestorben ist. Das ist eine Provokation, für jeden Christen, für die Kirche, aber auch für den Staat, der sich auf dieses Zeichen beziehen will.“

Vor der Negativfolie des bayerischen „Kreuz-Erlasses“ lässt sich ausbuchstabieren, wie ein Schlüsselbegriff positiv verwendet werden sollte: (1) Er sollte nicht losgelöst von seiner Bedeutung verwendet werden. (2) Er sollte nicht umgedeutet werden. (3) Seine Verwendung sollte konsensfähig sein. (4) Er sollte integrieren, nicht ausgrenzen. Dazu muss er weithin in gleicher Weise verstanden werden oder mit wenigen Worten verständlich gemacht werden können.

Auf die Verwendung des Begriffs „Schöpfung“ im Programm der ÖDP bezogen: Der Begriff sollte nicht wie ein Etikett an ein paar Stellen im Programm geklebt, sondern so verwendet werden, dass er Werte tiefer verstehen und vor allem im Lichte aktueller Wertekonflikte besser fassen und daraus abgeleitete politische Programmatik und Praxis besser formulieren hilft. Er darf auf spirituelle und geistige Ressourcen verweisen, um sie als Quelle der Inspiration zu erschließen, ohne ein Glaubensbekenntnis verbindlich zu machen.

„Schöpfung“ steht für eine subversive Ideologiekritik

Jüdische und christliche Schöpfungslehre beziehen sich über weite Strecken auf die gleichen biblischen Texte und das ÖDP-Europawahlprogramm 2019 spricht von jüdisch-christlichen Werten. Insofern ist es hilfreich, nicht nur christliche, sondern auch jüdische Auslegungen der biblischen Schöpfungserzählungen und Bezüge der biblischen Texte auf das Thema Schöpfung in den Blick zu nehmen, um zu klären, welchen Platz sie im Programm der ÖDP einnehmen sollten.

Üblicherweise werden zwei Schöpfungserzählungen unterschieden, die am Anfang der Bibel direkt aufeinander folgen: der Sieben-Tage-Hymnus im Buch Genesis 1,1–2,4a und die Geschichte von Adam und Eva im Garten Eden in Genesis 2,4b–24. Einige Theologen erkennen auch in Psalm 104 und im 2. Buch der Makkabäer 7,28b Schöpfungserzählungen. Darüber hinaus gibt es etliche für das jüdische und christliche Schöpfungsverständnis wichtige Aussagen in vielen Teilen der Bibel bis hin zur Offenbarung des Johannes, der Apokalypse.

Die Aussage im 2. Buch der Makkabäer 7,28b ist besonders kurz – @Social-Media-Team: Das passt in einen Tweet! – und lautet in der aktuellen katholischen Einheitsübersetzung: „Gott hat das aus dem Nichts erschaffen und so entstehen auch die Menschen.“ Knapper kann dem Kreationismus keine Abfuhr erteilt und auf den Punkt gebracht werden, was in der Bibel nicht steht: eine Beschreibung, wie die Welt entstanden ist. Die biblischen Schöpfungserzählungen beschreiben nicht die Entstehung der Welt, sondern deuten sie und diese Deutung führt zu Werten.

Die erste Schöpfungserzählung, der Sieben-Tage-Hymnus in Genesis 1,1–2,4a, stammt aus dem späten 6. Jahrhundert vor Christus. Sie greift das damals vorherrschende neubabylonische Weltbild auf, behält die naturwissenschaftlichen Aussagen bei, verändert aber den Kern der Deutung und Bewertung. In scharfem Gegensatz zur neubabylonischen Marduk-Erzählung sagt der biblische Text: Die gesamte Schöpfung, einschließlich der Menschen, ist gut, lebensförderlich. Das „heißt nicht: herrlich, paradiesisch, göttlich. Die lebensförderlich eingerichtete und insofern gute Schöpfung ist durchaus in sich konfliktträchtig und hinfällig.“ (Michael Welker)

Harmoniegedudel ist der Bibel fremd. Aber „jeder Teil des Ganzen hat eindeutig einen eigenen inhärenten Wert“ (Jeremy Benstein). Das ist eine Bewertung, das formuliert Werte: Die Schöpfung und jedes ihrer Teile, jedes Ökosystem, ja jede Art hat unabhängig von ihren Zwecken für die Menschheit einen Eigenwert und ist erhaltenswert. Gefährdet ist die Schöpfung in erster Linie durch menschliche Tätigkeit. Und Aufgabe der Menschen ist, die Schöpfung nachhaltig zu entwickeln. Das heißt auch: Es gilt nicht, einen bestimmten Status zu bewahren. „Schöpfung ist ständig im Werden, sie ist ein unaufhörlicher kreativer Prozess.“ (Markus Vogt)

Die zweite markante Aussage der ersten Schöpfungserzählung ist, dass alle Menschen nach dem Bild Gottes geformt sind. „Die Gottesebenbildlichkeit ist ein Topos der ägyptischen Königsideologie, der hier auf alle Menschen übertragen und damit demokratisiert wird.“ (Markus Vogt)

Alle Menschen haben die gleiche Würde, keiner ist herausgehoben. Die erste biblische Schöpfungserzählung verbietet damit jede Form des Führerkults, sowohl in seiner faschistischen Ausprägung als auch in der Form des Starkults. Wenn die ÖDP sich diese radikale Ablehnung jeder Form des Führerkults zu eigen macht, muss sie eine Partei der Begegnung auf Augenhöhe sein, der vielen Gesichter, die sie in ihrer Vielfalt repräsentieren, keine Partei, die einer Führungsfigur widerspruchslos folgt, um „Einigkeit“ zu zeigen.

Die biblischen Schöpfungserzählungen enthalten eine subversive Kritik an den Ideologien ihrer Zeit. Die beiden zentralen Kritikpunkte machen Aussagen zur Ökologie und zur Demokratie. Geschrieben wurden sie von einem unbedeutenden Volk „unterhalb der 5-%-Hürde“ sozusagen. Mehr als zwei Jahrtausende überliefert und fruchtbar wurden die Schöpfungserzählungen des biblischen Volkes, nicht die der großen Parteien, von denen es oft fast zerrieben wurde. Sie transportieren Vorstellungen vom Menschen, von menschlicher Gemeinschaft und der Beziehung zur Umwelt, die als Quelle der Inspirationen für eine Vielzahl politischer Handlungsfelder dienen können. Für eine Partei wie die ÖDP ist das alles nicht ganz uninteressant.

Fazit: „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ ist geeigneter

Für alle Mitglieder der ÖDP verbindlich sollten Werte sein, kein religiöses Glaubensbekenntnis. Der Bezug zu den biblischen Schöpfungserzählungen als Quelle der Inspiration neben dem Humanismus und möglichen weiteren spirituellen und geistigen Ressourcen darf und sollte im Programm durchaus hergestellt werden, jedoch so, dass die aus ihm abgeleiteten Werte in den Vordergrund gestellt werden.

„Schöpfung bewahren“ eignet sich aus verschiedenen Gründen eher nicht als Überschrift für ein Kapitel des BPP: (1) Diese Formulierung suggeriert ein Glaubensbekenntnis. (2) Sie wird mittlerweile selbst in der christlichen Theologie kritisch gesehen. (3) Bezüge zwischen biblischem Schöpfungsglauben und dem Programm der ÖDP existieren an vielen Stellen, nicht nur beim Klima-, Umwelt- und Artenschutz. Kapitel 1 behandelt aktuell 13 verschiedene Themen. Klimaschutz wird explizit benannt, die anderen 12 Themen haben mehr oder weniger direkt mit Klima-, Umwelt- und Artenschutz zu tun. Als Überschrift bietet sich „Klima-, Umwelt- und Artenschutz“ an.

Werte haben im Programm der ÖDP eine zentrale Bedeutung. Umso wichtiger ist es, dass sie von Themen und politischen Forderungen einerseits sowie ihren spirituellen und geistigen Quellen andererseits unterschieden werden. Um die zentrale Bedeutung der in der ÖDP geteilten Werte sichtbarer und ihre Verbindungen zu konkreten Punkten des Programms klarer zu machen, könnten zu Beginn jedes Kapitels, nicht nur in Kapitel 1, in knapper Form die jeweils relevanten Werte benannt werden. Wo es sich anbietet, kann ein Bezug zu spirituellen und geistigen Ressourcen hergestellt werden, wie etwa der jüdischen und christlichen Schöpfungstheologie und Umweltethik, dem Humanismus oder weiteren Ressourcen. Eine umfassendere Ausführung zu den Werten der ÖDP und ihren spirituellen und geistigen Quellen sollte im GP erfolgen.

 

Ob die Kapitelüberschrift „Schöpfung bewahren“ tatsächlich so im Bundespolitischen Programm bleibt oder ersetzt wird, ist derzeit noch offen.

 


Buchtipps

Gisela Dachs (Hrsg.)
Natur
Erkundungen aus der jüdischen Welt
Jüdischer Verlag, Oktober 2021
222 Seiten, 23.00 Euro
978-3-633-54313-7

Markus Vogt
Christliche Umweltethik
Grundlagen und zentrale Herausforderungen
Herder, Februar 2021
784 Seiten, 48.00 Euro
978-3-451-39110-1

Heinrich Bedford-Strohm (Hrsg.)
Und Gott sah, dass es gut war
Schöpfung und Endlichkeit im Zeitalter der Klimakatastrophe
Neukirchener, November 2009
190 Seiten, 28.00 Euro
978-3-7887-2391-0

 


 

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