Die klassische Blockrandbebauung sorgt für einen niedrigen Pro-Kopf-Verbrauch an Bodenfläche, kurze Wege und eine gute Gliederung in öffentliche, gemeinschaftliche und private Räume. – Foto: Klaus Leidorf Luftbilddokumentation

Bauen & Verkehr

„Wie wollen wir das Zusammen-Leben gestalten?“

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Von unserer gebauten Umwelt hängt in hohem Maße ab, ob wir uns wohl oder unwohl fühlen. Sie drückt unser Selbstverständnis aus – und prägt uns. Das Bauen gehört allerdings auch zu den größten Ressourcenverbrauchern und Müllerzeugern. Deshalb ist es wichtig, sowohl gemeinwohlorientierte als auch umweltgerechte Konzepte zu entwickeln. Und politisch einzufordern.

Interview mit Dr. Martin Düchs

 

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Düchs, warum haben Sie Ihr Architekturbüro „Blockrandbebauung“ genannt?

Dr. Martin Düchs: Das hat einen architektonischen und einen metaphorischen Grund. Zum einen halte ich die städtebauliche Form, die der Begriff bezeichnet, für sehr gut, um eine dichte, urbane und nicht zuletzt ökologisch sinnvolle Bebauung mit einer Differenzierung von öffentlichen, privaten und semiprivaten Räumen zu erzielen. Zum anderen kann man sich die Architektur und die Philosophie wie zwei große Blocks vorstellen, die relativ unvermittelt nebeneinander stehen, und indem ich Architektur-Philosophie betreibe, bewege ich mich gleichsam an deren Rändern. Abgesehen von diesen beiden Gründen finde ich aber auch, dass der Begriff eine spröde Schönheit ausstrahlt.

Was hat Sie bewogen, neben dem Architekturstudium auch noch Philosophie zu studieren?

Ehrlich gesagt war der erste Beweggrund einfach Langeweile. Ich habe zunächst mit dem Architekturstudium angefangen und da muss man oft nächtelang Pläne zeichnen und Modelle basteln. Nachdem ich dann einmal eine Nacht lang nur Schraffuren gezeichnet hatte, habe ich gemerkt, dass ich zusätzlich noch etwas „komplett anderes“ machen muss, um nicht wahnsinnig zu werden. Deswegen habe ich auch ein Philosophiestudium angefangen, zunächst aber nur zum Spaß. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass es doch überraschend viele Gemeinsamkeiten mit der Architektur gibt. Auf einer grundlegenden Ebene müssen Architekten sich nämlich mit Fragen beschäftigen, die letztlich philosophische sind: Was ist Schönheit? Was ist das gute Leben? Wie wollen wir das Zusammen-Leben gestalten? Was ist der moralisch richtige Umgang mit dem unvermeidlichen Verbrauch von natürlichen Ressourcen? Und letztlich muss sich auch ein Architekt mit der Frage beschäftigen, die zumindest gemäß Kant, die philosophische Frage schlechthin ist, nämlich: Was ist der Mensch? Jedes Gebäude ist also eine praktisch gegebene Antwort auf eine Vielzahl philosophischer Fragen. Diesen Zusammenhang finde ich nach wie vor faszinierend und er wird immer noch zu wenig „ausbuchstabiert“.

Wie sehen Sie die Umweltethik aus der Perspektive des Architekten?

Die Umweltethik ist das, was ich eine „interessierte Disziplin“ nenne. Die Protagonisten möchten rationale und intersubjektiv vermittelbare Gründe für den moralisch richtigen Umgang mit der Natur entwickeln, wobei die Hauptmotivation eben ist, die Naturzerstörung zu beenden. Für sich genommen ist das aller Ehren wert und auch wichtig und notwendig. Das Problem ist allerdings, dass „Umwelt“ in der „Umweltethik“ normalerweise als „Natur“ und vielfach noch enger als eine vom Menschen unberührte Natur verstanden wird. Durch diese Akzentuierung hat sich eine gewisse „Schlagseite“ in der Umweltethik ergeben, nach der – überspitzt und vereinfacht gesagt – Wildnis gut und alles, was vom Menschen kommt, per se zumindest problematisch ist. Das gilt dann natürlich auch für die Gestaltung von Städten, Dörfern, aber auch von Kulturlandschaften: Alles das ist prinzipiell moralisch problematisch, weil hier in der ein oder anderen Weise in die Natur eingegriffen wird. Demgegenüber plädiere ich für ein Verständnis von Umweltethik, in dem Umwelt als das Um-uns-herum-Seiende begriffen wird, zu dem eben auch Gebäude und Brücken und Felder usw. gehören. Die Aufgabe der Umweltethik ist dann, die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Um-uns-herum-Seienden zu diskutieren. In diesem Verständnis ist dann z. B. die Renovierung einer U-Bahn-Station auch eine Frage der Umweltethik. Es gibt eine Reihe von Gründen, die für ein solches Verständnis von Umweltethik sprechen, die ich hier nicht alle aufzählen kann. Ein wichtiger Grund aber ist, dass wir Menschen uns nicht als etwas der Natur Gegenübergestelltes, sondern als Teil der Natur begreifen sollten. Verkürzt gesagt gibt uns das das Recht, uns in der Natur einzurichten, gleichzeitig sind wir als moralische und vernunftbegabte Wesen aber verpflichtet, andere Teile der Natur zu achten und die „Einrichtung in der Welt“ auf eine Weise vorzunehmen, die die Möglichkeit eines dauerhaften Lebens auf der Erde nicht gefährdet.

Wie sehen Sie Architektur und Städtebau aus der Perspektive des Umweltethikers?

Sowohl Architektur als auch Städtebau sind von zentraler Bedeutung für die Umweltethik. Zwei Aspekte würde ich dabei in einer ersten Näherung unterscheiden: den Einfluss auf den Menschen und den auf die außermenschliche Natur, wobei beide Aspekte selbstverständlich zusammenhängen. Hinsichtlich der Natur hat der australische Architekt Glenn Murcutt seine Maxime in ein schönes Bild gefasst: „to touch the earth lightly“. Darum sollte es aus Sicht der Umweltethik in der Architektur gehen: die Erde nur sanft berühren, den ökologischen Fußabdruck, den unser Bauen verursacht, so klein wie möglich machen. Die Probleme fangen allerdings bei der Umsetzung dieser Maxime an, denn man muss sich darüber unterhalten, was sie bedeutet. Was ist nachhaltige Architektur und was ist im Städtebau ökologisch sinnvoll? Der andere Aspekt ist der Einfluss von Architektur auf den Menschen. Kompliziert gesagt: Architektur ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung der Möglichkeit eines guten Lebens im philosophischen Sinn. Eine Um-Welt aus Architektur sowie gestalteter und ungestalteter Natur kann im Idealfall eine Heimat sein, die den Menschen „wohnen“ lässt, wobei dieser Begriff mit Martin Heidegger eine dem-Menschen-als-Menschen gemäße Weise, in dieser Welt zu sein, bedeutet. Das klingt komplizierter als es ist: Jeder und jede kennt vermutlich bestimmte Um-Welten, in denen er bzw. sie sich einfach wohl und daheim fühlt. Die meisten dieser Um-Welten sind gebaute oder gestaltete Um-Welten. Tatsächlich ist der Mensch schon für sein mittelfristiges Überleben darauf angewiesen, sich eine lebensfreundliche Um-Welt zu gestalten: Und erst recht gilt das für das gute Leben. Aus Sicht der Umweltethik würde ich also sagen: In der Architektur muss es darum gehen, das gute Leben, das wohlgemerkt nicht in einem materiellen Sinn als Luxus verstanden werden darf, zu ermöglichen. Dazu aber gehört ganz wesentlich ein harmonisches Verhältnis zur Natur.

Was ist bei der Architektur wichtig? Gibt es gute Vorbilder? Oder Leitbilder?

Das ist schwierig, denn es gibt nicht das Vorbild, aber eine Reihe von Architekten, die Bauwerke geschaffen haben, die mich wirklich berühren. Dazu gehören Gunnar Asplund, Sigurd Lewerentz oder Alvar Aalto, also Architekten, die bisweilen unter dem Stichwort einer „menschlichen Moderne“ oder einer skandinavischen Weise zu bauen laufen. Ich bewundere aber auch Bauwerke aus anderen Jahrhunderten oder die vielen wunderbaren Häuser, die ohne Architekten in traditioneller Formensprache und mit lokalen Materialien errichtet wurden. Wenn man hier eine Gemeinsamkeit feststellen will, dann vielleicht eine nicht-ideologische, gleichsam leise oder sanfte Weise zu bauen. Der Ausgangspunkt liegt hier nicht in einer übergeordneten Idee, sondern einerseits bei den konkreten Handlungen und Bedürfnissen der Menschen und andererseits bei den konkreten Bedingungen des Ortes, mit denen rücksichtsvoll und wertschätzend umgegangen wird.

Was läuft in Architektur und Städtebau heute vor allem schief? Und warum?

Das ist auch eine schwierige Frage, denn es gibt zwar auch positive Beispiele, aber generell läuft vieles schief, sowohl in der Architektur als auch im Städtebau. Vielfach ist das Ziel nicht, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern vor allem viel Geld zu verdienen. Oder die finanziellen Mittel sind von vorneherein so begrenzt, dass eigentlich nichts Vernünftiges rauskommen kann. Und bisweilen ist es auch so, dass man bei einigen besonders ambitionierten Architekten das Bedürfnis spürt, besonders coole Bilder zu produzieren. Da kommt dann das raus, was als „Architektenpornos“ bezeichnet wird: riesige Villen, in der Dämmerung fotografiert, immer ohne Menschen, mit aseptischen Innenräumen und den immer gleichen langweiligen Grundrissen, die in erster Linie groß sind. Wenn ich es generalisieren soll, würde ich sagen, dass ein zu großer Egoismus auf allen Ebenen viele Probleme verursacht und vernünftige, bescheidene Lösungen verhindert. Ein Beispiel auf kommunaler Ebene: Weil jede Gemeinde meint, sie müsse die Nachbargemeinde ausstechen, weist – überspitzt gesagt – mittlerweile jedes 4-Seelen-Dorf ein Gewerbegebiet aus, um sich einen dieser grauenhaften Discounterkästen vor den Dorfeingang zu setzen. Dazu kommen mindestens ebenso schlimme seelenlose Einfamilienhaus-Neubaugebiete für Toskana- oder Schwedenhäuser, während die Dorfmitten mit den ungenutzten Bauernhöfen veröden. Dieser Prozess ist in Bayern besonders bizarr, weil einerseits der Wert und der Schutz der schönen Heimat ganz besonders betont wird, andererseits aber alles getan wird, um Gewerbeansiedlungen zu vereinfachen. Aber auch auf privater Ebene ist ein falsch verstandener Individualismus ein grundlegendes Problem. Viel zu viele meinen, sie müssten ihren einmaligen, extravaganten Wohntraum verwirklichen, wobei es egal ist, ob wir von einer Multimillionen-Villa reden oder von einem Einfamilienhäuschen. Normale Einfamilienhäuser haben heute manchmal Garagen, deren Volumen dem von manchen Einfamilienhäusern aus den 1950er- und 1960er-Jahren entspricht. Da kann dann die Wand gedämmt sein, wie sie will, der absolute Ressourcenverbrauch ist trotzdem viel zu hoch. Auf den Punkt gebracht: In allen Bereichen gibt es zu viel Egoismus und zu wenig Gemeinwohlorientierung.

Was ist im Städtebau wichtig?

Auch hier würde ich zwei eigentlich ganz schlichte Imperative propagieren: Zum einen muss der Menschen mit seinen Bedürfnissen als leiblich-geistiges Wesen im Mittelpunkt stehen. Im nächsten Schritt muss man dann darüber nachdenken, was das bedeutet. Ein Beispiel: Der Mensch ist zunächst mal ein Fußgänger und deswegen sollte sich auch der Städtebau danach richten. Die autogerechte Stadt, die in den 1950er-Jahren propagiert wurde, ist eine absurde Idee und war ein Riesenfehler. Der Mensch ist kein Autofahrer, sondern ein Fußgänger. Und entsprechend sollte sein näheres Umfeld ausgerichtet sein. Warum ist z. B. immer der Fußgängerweg unterbrochen und die Straße nicht? Warum also eine eingebaute Vorfahrt für das Auto? Es müsste andersherum sein und es gibt – beispielsweise in Kopenhagen – Städte, die umdenken: erst die Fußgänger, dann die Radler, dann die Autos. Aber auch Bedürfnisse wie das nach Schönheit oder Sinn gilt es zu beachten, wenn man es ernst meint mit der „menschlichen“ Stadt. Der zweite Imperativ ist: Der ökologische Fußabdruck muss beim Gesamtsystem Stadt so klein wie möglich gemacht werden. Ich spreche dabei von drei Leitplanken, die alle beachtet werden müssen, um nachhaltige und das heißt dauerhaft umweltgerechte Gebäude und Städte zu bekommen: Effizienz, Resilienz und Suffizienz. Effizienz bedeutet: Alle Ressourcen müssen effizient eingesetzt werden. Vor allem auch die Bodenfläche. Hohe Dichten sind also definitiv zu befürworten. Resilienz bedeutet: Die Stadt muss als Gesamtsystem so gebaut werden, dass sie mit Störungen und Veränderungen in den Rahmenbedingungen gut zurechtkommt. Suffizienz bedeutet: Wir müssen auch über den Lebensstil nachdenken. Auch beim Bauen muss man fragen: Wie viel brauchen wir wirklich? Der Quadratmeter, der gar nicht erst gebaut wird, weil er nicht gebraucht wird, ist mit Sicherheit der ökologisch sinnvollste.

Was läuft hier heute vor allem schief? Und warum?

Bisweilen lassen sich die Menschen von hübschen Bildern täuschen. Heute eine hübsch anzusehende Gartenstadt mit locker verstreuten Häuschen zu bauen, ist aus ökologischer Sicht schlicht nicht sinnvoll, so grün die Bilder auch sein mögen. Effizient hinsichtlich des Verbrauchs von Energie und Bodenfläche sind relativ dichte Bebauungen, so wie wir sie z. B. von Vierteln der Gründerzeit kennen. Dazu kommt, dass nur bei einer relativ hohen Bevölkerungsdichte der ÖPNV sinnvoll ausgelastet ist. Ein anderer Punkt ist die Angst, Fragen der Suffizienz im Zusammenhang mit dem Bauen zu diskutieren und hier nach absoluten Größen zu fragen. Aber so, wie es nicht sinnvoll ist, die Umweltfreundlichkeit eines Autos nach der pro PS verbrauchten Energie zu messen, so ist es auch nur bedingt sinnvoll, die Nachhaltigkeit eines Gebäudes nach der pro Quadratmeter verbrauchten Energie zu bemessen. Genau das passiert aber in der Architektur. Die absoluten Zahlen spielen im Prinzip keine Rolle. So kann es passieren, dass ein älteres, etwas schlechter gedämmtes Gebäude, in dem 5 Personen auf 80 m² wohnen, als weniger nachhaltig angesehen wird, als ein Gebäude, in dem ein Ehepaar auf 400 m² wohnt, obwohl der Energie- und Flächenverbrauch pro Person in absoluten Zahlen hier deutlich höher ist. Auch in der Architektur müssen wir also fragen, wann es genug ist und was wir für ein gutes Leben tatsächlich brauchen. Das kann problematisch sein, weil es die Freiheit des Einzelnen berührt, aber die Frage, wie wir wohnen, berührt eben auch das Gemeinwohl und deshalb sollten wir hier zumindest die Diskussion starten und Anreize für einen suffizienten Lebensstil schaffen.

Ist als Lehre aus der Corona-Pandemie eine geringere Bevölkerungsdichte zu ziehen? Also eine weitere Zersiedlung der Landschaft?

Ich glaube, Corona ist schon eine Herausforderung für Architektur und Städtebau, aber erstens sind städtebauliche Prozesse so langfristig, dass man sie nicht durch akute Ereignisse völlig umwerfen sollte. Und zweitens haben sich nach allem, was wir wissen, die Leute ja nicht beim Wohnen angesteckt, sondern z. B. bei Konzerten und anderen Events, die erst mal unabhängig von der städtebaulichen Struktur sind. Es wäre also ein fataler Kurzschluss, mit Verweis auf die Pandemie jetzt eine geringere Dichte zu fordern. Dies würde nur dazu führen, dass Menschen mehr mit dem Auto unterwegs sind und noch mehr ökologisch wichtige Flächen verbraucht wird. Das Ganze wäre also ökologisch wie auch gesundheitlich fatal. Den „urban sprawl“ als Leitbild auszugeben wäre ein bisschen so, wie wenn man die Cholera mit der Pest bekämpfen wollte. Trotzdem müssen wir natürlich ständig darüber nachdenken, wie eine lebenswerte Stadt im 21. Jahrhundert aussehen kann. Und Corona kann da ein Impulsgeber sein, weil die Pandemie viele Prozesse, wie z. B. die Digitalisierung der Arbeitswelt, beschleunigt.

In Ihrem Stadtteil sind Sie nun Mitglied des Bezirksausschusses. Warum haben Sie dafür kandidiert? Und was haben Sie sich vorgenommen?

Ich bin Mitglied der ÖDP geworden, weil ich es leid war, dass alle über die Politik schimpfen, sich selbst aber nicht engagieren wollen. Demokratie lebt nicht vom Gemaule am Stammtisch, sondern davon, dass Menschen sich engagieren und eine bessere Zukunft gestalten wollen. Genau das will ich jetzt auch mit den bescheidenen Mitteln eines Bezirksausschuss-Mitglieds tun: nicht jammern und klagen, sondern für eine positive Vision argumentieren. Gegen eine um sich greifende Not-in-my-backyard-Mentalität will ich mich sowohl innerhalb des Bezirksausschusses als auch innerparteilich für die Vision einer ökologischen und gemeinwohlorientierten Stadt des 21. Jahrhunderts einsetzen.

Die CSU plakatierte im Kommunalwahlkampf den Slogan „Wir kämpfen für die Gartenstadt – Rot-Grün macht uns die Gärten platt“. Wie fanden Sie den?

Der ganze Kommunalwahlkampf in München war ein großer Angstwahlkampf und das Thema Architektur und Stadtentwicklung wurde generell viel zu einfach dargestellt. Als ob man nur einfach mal diesen oder jenen Aspekt beachten oder auf diese oder jene Weise bauen müsste und alles wird gut. Eine Stadt ist ein komplexes System, dem man nicht gerecht wird, wenn man nur an einer Stellschraube dreht, an dieser dafür aber ganz extrem. Für das Thema Gartenstadt bedeutet das zum Beispiel, dass es aus ökologischer Sicht oft durchaus sinnvoll wäre nachzuverdichten, aber es spielen eben auch Faktoren wie Schönheit, kultureller Wert einer gewachsenen Struktur, Atmosphäre usw. eine Rolle. Und zum Thema Angst: Die FDP hatte Angst, dass man nicht mehr so viel Auto fahren kann, die CSU sehnte sich nach irgendeinem idyllischen Postkarten-München, das es nie gegeben hat, und die Grünen haben wie üblich allen alles versprochen. Auch die ÖDP hat zu meinem Bedauern – neben vielen Motiven, die ich gut fand – ein Plakat gehabt, das sinngemäß ein idyllisches kleines Häuschen als Ideal und einen Geschossbau aus Beton pauschal als böse dargestellt hat. Dumm nur, dass ganz Bayern zugebaut wäre, wenn alle in so netten kleinen Häuschen wohnen würden, und dass der Energieverbrauch und der induzierte Verkehr gigantisch wären. Mit solchen nostalgischen und irreführenden Bildern ist dem Thema nicht beizukommen. Ich bin der Meinung, dass wir auch bei der ÖDP bei aller sehr wohl berechtigten Wachstumskritik die positive Vision einer gemeinwohlorientierten und ökologischen Stadt der Zukunft brauchen. Und dass wir diskutieren müssen, wie wir die Stadt ökologisch umbauen. Das kann eben auch bedeuten, dass wir neue, dichte, urbane und schöne Stadtteile bauen müssen, wenn wir nicht wollen, dass 10 km weiter die Landschaft noch mehr mit ökologisch viel schädlicheren Einfamilienhaussiedlungen zugepflastert wird.

Herr Dr. Düchs, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.


Buchtipp

Eric-Oliver Mader, Julia Mang-Bohn (Hrsg.)
50+1 Architektonische Gewissensfragen
beantwortet von Dr. Martin Düchs
Dölling und Galitz, September 2019
248 Seiten, 22.00 Euro
978-3-86218-127-8