Wenn Straßen vornehmlich als Abstellfläche für Autos genutzt werden, sinkt ihre Aufenthaltsqualität deutlich. – Foto: Günther Hartmann

Bauen & Verkehr

„Vom Leitbild der autogerechten Stadt abkehren“

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Gebäude prägen unser Bewusstsein. Vor allem die Art und Weise, wie wir wohnen, hat großen Einfluss auf unser Selbstverständnis, auf unsere emotionale Befindlichkeit und auf unser Tun. Doch welche Bedeutung hat das Wohnumfeld? Und welche Folgen hat es, wenn unsere Straßen und Plätze vornehmlich dem Autoverkehr zu dienen haben?

Interview mit Dr. Klaus Englert

 ÖkologiePolitik: Herr Dr. Englert, Sie beschreiben in Ihrem neuen Buch die Zukunft des Wohnens. Hat die auch etwas mit dem öffentlichen Raum zu tun?

Dr. Klaus Englert: In meinem Buch beschreibe ich auch die Geschichte des modernen Wohnens. Zur zentralen Entwicklung der letzten 100 Jahre zählt die von der „Höhle“ zum „Nest“. Das wurde bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren von Walter Benjamin klar erkannt und brillant beschrieben. Die bürgerliche Wohnung des 19. Jahrhunderts war ein „Futteral“, in das seine Bewohner tief „eingebettet“ waren, „verwachsen“ mit unzähligem Krimskrams. Benjamin beschreibt diese Wohnungen als „Schutzhöhlen“, in denen sich die Menschen von der Außenwelt zurückzogen und geradezu abschotteten – gerne auch mit schweren Vorhängen. Die progressiven Architekten des frühen 20. Jahrhunderts dagegen waren beseelt von dem Wunsch, die Menschen aus ihrer Komfortzone herauszuholen, die starren Grenzen zwischen innen und außen aufzuheben und durch eine Reduktion aufs Wesentliche ein neues Lebensgefühl und einen neuen Zeitgeist zu erzeugen. „Less is more – weniger ist mehr“ lautete das berühmte Motto des Architekten Mies van der Rohe. Man träumte von leichten, mobilen und transparenten Materialien, Glas übte damals bei vielen eine große Faszination aus. Es ist nicht zufällig, dass über Bruno Taut die japanische Wohnungsarchitektur großen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Wohnung im Westen hatte. „Licht, Luft, Öffnung“ formulierte es damals der Ingenieur und Kunsthistoriker Sigfried Giedion.

Das ist aber bis heute nicht jedermanns Wunschtraum.

Nein, sicher nicht. Aber das Leitbild „Sich nicht in seiner Wohnung einkapseln“ ist wohl eine wichtige Voraussetzung dafür, sich überhaupt als Teil einer sozialen und natürlichen Umwelt wahrzunehmen und zu verstehen. Das Bewusstsein bestimmt das Wohnen, aber das Wohnen bestimmt auch das Bewusstsein. Damit der Blick nach draußen aber nicht frustrierend, sondern anregend ist, muss dieses Draußen eine gewisse Qualität haben. Und damit man seine Wohnung gerne verlässt und spazieren geht, muss das Draußen, muss der öffentliche Raum eine hohe Aufenthaltsqualität haben. Und die hat er oft nicht – weil der öffentliche Raum von unseren Stadtplanern weniger als Raum für Menschen, sondern mehr als Raum für das Auto betrachtet und konzipiert wurde. Die autogerechte Stadt war seit den 1950er-Jahren das planerische Leitbild – eine fatale Fehlentwicklung.

Wie kann der öffentliche Raum attraktiver werden?

Dafür muss vor allem der Autoverkehr deutlich reduziert werden. Er erzeugt gesundheitsschädliche Stickoxide und Feinstäube. Er erzeugt Lärm. Und er beansprucht viel zu viel des kostbaren öffentlichen Raums – nicht nur der fließende, sondern auch der ruhende Verkehr auf Parkplätzen und Straßen. Da hilft nur eins: Autofahren muss teurer werden. Denn die Zahl der zugelassenen Autos steigt stetig. Und der Anteil der SUVs auch. 46 % Prozent aller im Juli 2019 verkauften BMWs gehörten zur Kategorie SUV. Das ist der vorherrschende Trend. Und so verwundert es nicht, dass die CO2-Emissionen im Jahr 2017 den höchsten Wert seit 19 Jahren erreichten.

Welche Maßnahmen können den Verkehr reduzieren?

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums z. B. hat den Kommunen empfohlen, eine City-Maut einzuführen. Mit diesen Einnahmen könnten der ÖPNV ausgebaut, vergünstigte Sozialtickets für Bedürftige finanziert sowie Fuß- und Radwege erweitert werden. Die City-Maut würde, wenn sie sich an den Schadstoff-Emissionen und Entfernungen orientiert, die Attraktivität von Verkehrsmitteln mit geringeren oder keinen Schadstoff-Emissionen deutlich steigern. Metropolen wie London und Stockholm haben bereits seit Jahren gute Erfahrungen damit gemacht. Natürlich löst die City-Maut nicht alle Mobilitätsprobleme und braucht flankierende Regelungen – sowohl für den fließenden als auch für den ruhenden Verkehr.

Was schlagen Sie für den ruhenden Verkehr vor?

Wenn man wirklich weg will vom Auto, muss man auch das Parken ausreichend bepreisen – und zwar überall. Man muss weg von den Flächenversiegelungen durch öffentliche Parkplätze, die einzig dem Individualverkehr vorbehalten sind. Parkflächen in Straßen und auf Plätzen würdigen diese zu individuellen „Lagerstätten“ herunter. Sie versiegeln viel Bodenfläche. Das gilt aber auch für die viel gepriesenen Park-and-Ride-Parkplätze an den Stadträndern. Wenn man wirklich weg will vom Auto, muss man auch diese ausreichend bepreisen. Wir müssen vom Leitbild der autogerechten Stadt entschieden abkehren. Eine City-Maut wäre da ein sinnvoller Anfang.

Herr Dr. Englert, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.


Buchtipp

Klaus Englert
Wie wir wohnen werden
Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen
Reclam, Mai 2019
216 Seiten, 18.00 Euro
978-3-15-011186-4