Landwirtschaft & Ernährung

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Der pflanzentötende Wirkstoff, der weltweit am meisten eingesetzt wird, ist Glyphosat – 825.000 t allein im Jahr 2014. In den letzten Monaten wurde intensiv darüber berichtet, denn in der EU steht seine Wiederzulassung an. Gleichzeitig sagt die Internationale Krebsagentur der WHO (IARC): Glyphosat ist für den Menschen wahrscheinlich krebserregend.

Glyphosat, ein zunächst nur vom US-amerikanischen Biotech-Konzern Monsanto hergestelltes Breitbandherbizid, begann seinen „Siegeszug“ mit dem Anbau gentechnisch veränderter resistenter Pflanzen ab Mitte der 1990er-Jahre und der Förderung des pfluglosen Anbaus. Allein in Deutschland sind 96 glyphosathaltige Mittel zugelassen, 43 davon auch für den Haus- und Kleingarten. Eingesetzt wird Glyphosat hierzulande zur Unkrautbeseitigung nach der Ernte und vor der Aussaat und zur sogenannten „Sikkation“, dem Abspritzen der Pflanzen vor der Ernte. Die Spritzmittel enthalten zumeist Hilfsstoffe, wie etwa das besonders toxische Tallowamin.

Wirkung auf Pflanzen, Tiere und Biodiversität

Glyphosat hemmt ein Enzym, das in Pflanzen an der Bildung aromatischer Aminosäuren und weiterer wichtiger Stoffe beteiligt ist, und tötet deshalb alle Pflanzen mit Ausnahme der durch gentechnische Veränderung resistent gemachten. Über die Blätter aufgenommen, wird es breit verteilt und reichert sich in Spross- und Wurzelspitzen an. Der Abbau im Boden ist abhängig von den Bodenverhältnissen und kann länger als ein Jahr dauern, das wichtigste Abbauprodukt AMPA (Aminomethylphosphonsäure) ist noch stabiler. Beide Stoffe finden sich inzwischen in Gewässern und zum Teil auch im Grundwasser.

Glyphosat beeinflusst das Bodenleben. Es hemmt nützliche Organismen wie die stickstoffbindenden Knöllchenbakterien und die für die Nährstoffaufnahme wichtigen Mykorrhiza-Pilze, fördert hingegen Schadpilze, z. B. Fusarien, die toxische Stoffe bilden. Über die Bindung von Mikronährstoffen wie Eisen und Mangan kann Glyphosat vor allem bei langjährigem Einsatz den Ertrag und die Abwehrkraft der Pflanzen verringern.

Glyphosat ist für viele Organismen – nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Tiere – giftig. Da es sehr breit wirkt, verschwindet die Ackerbegleitflora. Weniger Wildpflanzen bedeuten aber auch weniger Insekten und weniger Tiere, die von Wildpflanzen und Insekten leben. Intensiver Glyphosat-Einsatz beim Anbau resistenter Gentech-Pflanzen hat z. B. in den USA dazu geführt, dass die Futterpflanze der Monarchfalter sehr selten wurde und damit die Zahl dieser schönen Schmetterlinge extrem abnahm. Es entwickeln sich zudem immer mehr resistente Unkräuter: Über 30 glyphosatresistente Unkrautarten breiten sich auf Millionen Hektar aus. Die Folge: noch mehr Herbizide und noch weniger Artenvielfalt.

Wirkung auf die menschliche Gesundheit

Glyphosat übersteht Kochen und Backen – und findet sich zunehmend in Lebens- und Futtermitteln, auch in nicht gentechnisch veränderten. Aufgenommenes Glyphosat wird über den Urin ausgeschieden. Es findet sich nicht nur im Urin von Landwirten, sondern auch von Stadtbewohnern. Die Bakterien-Gemeinschaft im Darm kann sich negativ verändern, wenn z. B. Krankheitserreger unempfindlich, nützliche Bakterien hingegen empfindlich sind. Glyphosat kann die Aktivität von Enzymen verändern und das Erbmaterial schädigen. Darüber hinaus steht es im Verdacht, hormonell wirksam zu sein und die frühe Embryonalentwicklung zu stören.

Seit der IARC-Stellungnahme aus dem Jahr 2015 zum krebserregenden Potenzial von Glyphosat nimmt die Diskussion über seine Toxizität an Intensität zu. Denn wird ein Pestizid als krebserregend eingestuft, darf es in der EU nicht zugelassen werden. Das Vorsorgeprinzip soll so zur Geltung kommen. Doch wie kann es dann sein, dass ein Produkt, das so viele Risiken birgt, wieder zugelassen werden soll?

EU ignoriert Risiken für Mensch und Natur

Im Gegensatz zur IARC sehen die für die Sicherheitsbeurteilung von Glyphosat zuständigen EU-Behörden – z. B. die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA und die Europäische Chemikalien-Agentur ECHA – keine Belege für eine krebserregende Eigenschaft. Unter Berufung auf EFSA und unter Ausblendung des wissenschaftlichen Disputs wollte die EU-Kommission 2016 Glyphosat für weitere 15 Jahre zulassen, verlängerte dann aber wegen des wachsenden öffentlichen Widerstands zunächst „nur“ bis Ende 2017.

Kritik am EU-Zulassungsverfahren für Pestizide gibt es schon lange, da es intransparent ist und den von der Industrie gelieferten, nicht öffentlich zugänglichen und überprüfbaren Daten ein massives Übergewicht einräumt. Auch werden immer wieder Zweifel an der Unabhängigkeit von Experten laut, die mit der Sicherheitsprüfung betraut sind. Vor Kurzem wurden im Rahmen eines Prozesses in Kalifornien E-Mails öffentlich, aus denen der Einfluss von Monsanto auf die Glyphosat-Debatte hervorgeht: Mitarbeiter haben demnach als Ghostwriter Studien für Wissenschaftler verfasst. Der Austausch mit der zuständigen US-Behörde war eng. Es geht um einen riesigen Markt.

Die IARC dagegen berücksichtigte bei ihrer Untersuchung nur von unabhängigen Wissenschaftlern erstellte und dem wissenschaftlichen Beurteilungsverfahren unterworfene Studien (peer-reviewed). Auf dieser Basis stellte sie fest: „Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend!“

Die Auseinandersetzung geht weiter, der Widerstand gegen Glyphosat und die Macht der Konzerne nimmt zu. Die Zivilgesellschaft engagiert sich wie kaum zuvor: Verbände haben eine europäische Bürgerinitiative gestartet und sammeln Unterschriften für ein Verbot von Glyphosat.