Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurden Grundrechte eingeschränkt. – Foto: mabufoto/pixabay.com

Demokratie & Recht

„Grundrechte: das zentrale Fundament von Demokratien“

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Während der Corona-Pandemie wurden unsere Grundrechte massiv beschnitten. Für den Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie war dies Anstoß, gründlich über die Bedeutung der Grundrechte für unsere Demokratie und für das Gemeinwohl nachzudenken. Und über Maßnahmen, die Grundrechte zu stärken.

Interview mit Christian Felber

 

ÖkologiePolitik: Herr Felber, in welcher Beziehung stehen die Demokratie, das Gemeinwohl und die Grundrechte zueinander?

Christian Felber: Grundrechte sind das zentrale Fundament und Erkennungsmerkmal von Demokratien. Je besser geschützt die Grundrechte in einem Staat sind, als desto demokratischer kann man ihn erachten, umgekehrt geht es mit zunehmender Einschränkung von Grundrechten in Richtung Autokratie und Diktatur. Das Gemeinwohl ist zwar zunächst abstrakt, aber explizit der Zweck der Demokratie. Entscheidend ist das Zustandekommen der Definition. Je demokratischer es definiert wird, desto verlässlicher der Inhalt. Meine bescheidene Formel: Das Gemeinwohl setzt sich aus Grundwerten, Grundbedürfnissen und Grundrechten zusammen. Damit ist auch gleich der Spagat zwischen Gemeinwohl und Menschenwürde mitgemacht. Fehlen die Grundrechte im Gemeinwohl-Verständnis, besteht die Gefahr des Abgleitens eines Gemeinwesens in eine totalitäre Richtung, sei es nach rechts oder links.

Warum haben Sie über die Grundrechte ein Buch verfasst?

Grundrechte sind Menschenrechte. Die sind in letzter Zeit zunehmend unter Druck geraten. Der konkrete Anlass war das überraschend autoritäre Krisen-Management während der Corona-Pandemie, auch in vielen liberalen Demokratien. Weltweit wurden bis zu 25 Grundrechte eingeschränkt: vom Schutz des Lebens und der Unversehrtheit über die Kinderrechte und das Recht auf Bildung bis zum Recht auf soziale Sicherheit und Schutz vor Hunger. Hätte das jemand als Ziel vorgeschlagen, es hätte in weiten Teilen der Bevölkerung einen Demokratie-Alarm höchster Stufe ausgelöst. Doch in der Pandemie hat es eine Regierung der anderen nachgemacht, und kein geringer Teil der Bevölkerung hat es akzeptiert. Ich möchte mit dem Buch dreierlei zeigen. Erstens: Die massiven Einschränkungen waren nicht nötig, Länder ohne Lockdowns kamen besser durch die Krise. Zweitens: Die invasiven Eingriffe und der Diskurs darüber haben unsere Gesellschaft nachhaltig gespalten. Drittens: Ich möchte vermeiden, dass wir in kommenden Krisen denselben Fehler wiederholen – durch die stärkere rechtliche Absicherung von Grundrechten.

Wie konnte es zu einem solchen Abgleiten der Politik ins Autoritäre kommen?

Es hat eine Reihe von Faktoren zusammengespielt. Auffallend ist – und das sollte auch in einer gründlichen Aufarbeitung beleuchtet werden –, dass es das Phänomen „Lockdown“ bis 2020 in der Epidemiologie nicht gab. Der Begriff kommt aus dem Gefängnismanagement und bezeichnet die Bestrafung von Häftlingen nach Fehlverhalten. Doch eine Demokratie ist kein Gefängnis, und Staatsbürger sind keine Häftlinge. Das war schon eine sprachliche Demütigung des Souveräns. Der erste Lockdown stammt aus China. Auffallend war das rasche Lob des chinesischen Weges durch den WHO-Generaldirektor, obwohl das nicht in den Pandemievorkehrungen der WHO stand. Dieses Lob hat es Demokratien leichter gemacht, dem autoritären Weg zu folgen. Nicht alle haben es getan. Schweden hielt sich an seinen lange ausgearbeiteten Pandemieplan. Aus einer historischen Perspektive könnte man sagen: Lieber von Demokratien lernen als von Diktaturen. Das galt für den Neoliberalismus, der kam aus dem Chile des Generals Pinochet, und nun für die Lockdowns.

Welche Rolle spielten die Medien?

Mehreren Studien zufolge haben die Qualitätsmedien ihre angestammte Rolle der Kontrolle der Mächtigen kaum wahrgenommen und stattdessen die Regierungslinie unkritisch mitgetragen. Sei es durch die praktisch vollkommen unterbliebene Belichtung negativer Folgewirkungen von Grundrechtseinschränkungen oder durch einseitige Faktenchecks kritischer Stimmen. Die Medien spielten bei der „Ralley round the flag“ mit, was ein Hinweis dafür ist, dass sie das Framing der Pandemie als „Krieg“ akzeptierten, anstatt diesen Frame zu dekonstruieren und den einhergehenden Notstand zu hinterfragen. Eine Pandemie ist kein Krieg. Der vielleicht kontraproduktivste Beitrag war die Zweiteilung der Gesellschaft in „solidarische“ Befürworter der Regierungsmaßnahmen und „Corona-Leugner“, „Querdenker“ oder gleich „Covidioten“. So unterblieb der sonst übliche demokratische Diskurs in all seinen Schattierungen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung keinem der beiden Extrempole „Lockdown“ oder „Laufenlassen“ zugestimmt hätte, wenn moderate Mittelwege – ähnlich dem in Schweden – aufgezeigt und diskutiert worden wären, z. B. Maßnahmen auf Basis von Empfehlungen und Gesetzen, jedoch ohne Grundrechtseinschränkungen. Diese moderaten Mittelwege wurden unsichtbar gemacht. Es wurden nur die Pole diskutiert. Das spaltete die Gesellschaft. Diese Fehlleistung der Gestalter des öffentlichen Diskurses sollte meines Erachtens am dringendsten aufgearbeitet werden.

Welche Rolle spielte die Sprache?

„Lockdown“ spricht eigentlich für sich, das ist ein Knockdown der Demokratie. Eine subtilere Manipulation war die Gleichsetzung der Kritiker von Regierungsmaßnahmen mit „Maßnahmengegnern“. Doch so wie Kritiker von SUVs keine Mobilitätsgegner sind und Kritiker der Kernkraft keine Energiefeinde, lehnten bei Covid-19 viele Kritiker nur bestimmte Maßnahmen ab, aber nicht Maßnahmen an sich. Gleich gut wäre es möglich gewesen, diese Kritiker als „Grundrechteschützer“ zu bezeichnen. Der Spieß hätte auch ganz umgedreht werden können: Befürworter des Regierungskurses hätten ebenso konsequent als „Grundrechtegegner“ geframt werden können wie die Verteidiger der Grundrechte als „Schwurbler“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Wissenschaftsleugner“ bezeichnet wurden. Das wäre ebenso unsachlich gewesen, aber es zeigt, wie massiv und wirkmächtig hier mit Sprache manipuliert wurde.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen, damit sich solch ein Abgleiten ins Autoritäre bei der nächsten Pandemie oder anderen Krisen nicht wiederholt?

Neben der Wiederherstellung einer minimalen Diskursethik und der Wiederfindung eines pluralen Diskurses in den Medien und der Wissenschaft, der einer Demokratie würdig ist, ist das Wichtigste aus meiner Sicht ein Ablegen der „Notstandsmentalität“. Diese, in Zusammenhang mit Angstmache und Kriegsrhetorik, bereitet den Boden für die Einschränkung von Grundrechten. Der nächste Notstand steht rhetorisch bereits vor der Tür. Ich hielte es für zielführend, die sogenannten „Notstandsgesetze“ von 1968 dahingehend zu „entschärfen“, dass in Krisen keine massiven Grundrechtseinschränkungen mehr möglich sind. Generell sollten Grundrechtseinschränkungen erschwert werden, z. B. nur noch auf Basis wissenschaftlicher Evidenz oder durch strenge Befristung. Bei Gesundheitsmaßnahmen sollten Gesundheitsfolgenabschätzungen verpflichtend werden, und das Vorsorgeprinzip darf nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Es besagt laut gültigem EU-Recht, dass von riskanten Eingriffen oder Technologien – z. B. Lockdowns, Massentesten Gesunder oder verpflichtenden mRNA-Impfungen – Abstand genommen werden soll. Es rechtfertigt gerade nicht deren Einsatz, um einen möglichen Schaden zu verhüten. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einrichtung eines demokratischen Krisenrates, dem alle wesentlichen Gruppierungen der Bevölkerung angehören und der mit einem Veto gegen Grundrechtseinschränkungen ausgestattet wird. Zusätzlich sollten einige Grundrechte aufgewertet werden, z. B. könnte das Recht auf Unversehrtheit von einem relativen zu einem absoluten Recht gestärkt, auf gleiches Niveau wie die Menschenwürde gehoben werden. Das wäre das Ende von Test-, Masken- oder Impfpflichten, damit wäre das größte gesellschaftliche Spaltungspotenzial Geschichte. Andere Grundwerte könnten erweitert werden, z. B. die staatliche Vorzensur auf Nachzensur in den Sozialen Medien, der Nürnberger Kodex auf vorläufig zugelassene Arzneimittel oder das Diskriminierungsverbot auf gesundheitliche Merkmale oder Therapien. Die Genfer Flüchtlingskonvention könnte auf Umweltflüchtlinge ausgeweitet und ökologische Menschenrechte in den UN-Sozialpakt ergänzt werden. Ein innovativer Ansatz bestünde darin, den Schutz von Grundrechten in das Gemeinwohl-Produkt eines Landes aufzunehmen, welches das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsmaß ablösen würde. So können „wirtschaftsfremde“ Themen wie Grundrechtsschutz oder Friedenserhalt in die gesamtgesellschaftliche Erfolgsmessung eingehen.

Herr Felber, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Christian Felber
Lob der Grundrechte
Wie wir in kommenden Krisen das Gemeinwohl schützen
Westend, Februar 2025
224 Seiten, 22.00 Euro
978-3-86489-490-9

Christian Felber
This is not Economy
Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft
Deuticke, September 2019
304 Seiten, 22.00 Euro
978-3-552-06402-7

Christian Felber
Gemeinwohl-Ökonomie
Piper, März 2018
256 Seiten, 12.00 Euro
978-3-492-31236-3


Onlinetipps

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„Der Staat hat sich am heiligen Schrein der Demokratie vergriffen“
NachDenkSeiten, 17.02.2025
www.nachdenkseiten.de/?p=128795

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ÖkologiePolitik, 29.11.2023
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Vortrag von Claudine Nierth und Christian Felber
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ÖDP München, 23.05.2023
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