„Kaum eine Branche hat die Irrtümer heutiger Ökonomie so sehr verinnerlicht wie das Bauwesen“, schreibt Günther Moewes im Vorwort der Neuauflage seines Buchs „Weder Hütten noch Paläste“.

Bauen & Verkehr

Das kleine Einmaleins ökologischen Bauens

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Ein Buchklassiker über ökologisches Bauen wurde neu aufgelegt: das 1995 erschienene „Weder Hütten noch Paläste“ von Architekturprofessor Günther Moewes. Erschreckend ist, dass es immer noch aktuell ist. Obwohl Moewes damals genau beschrieb, was alles falsch läuft, fand eine grundlegende Kurskorrektur bislang nicht statt.

von Günther Hartmann

 

In den 1990er-Jahren war angesichts der zunehmenden Umweltprobleme bereits klar, dass das Bauen „ökologischer“ werden muss. Nur was das genau bedeutet, da gingen die Meinungen auch in der Fachwelt weit auseinander. Das Spektrum der Antworten reichte vom Bauen mit Lehm bis hin zu futuristischen Hightech-Hochhäusern, von ungedämmten Glashäusern zur Maximierung solarer Wärmegewinne bis zu hochgedämmten Halbkugelhäusern zur Minimierung von Wärmeverlusten. Die Diskussion waren stark emotionalisiert geprägt. In dieses Vakuum stieß Günther Moewes mit seinem Buch und öffnete vielen die Augen.

Statt mit Bildern argumentierte er mit Zahlen. Statt ans Gefühl appellierte er an den kritischen Verstand. Er zeigte mathematische Gesetzmäßigkeiten sowie verhängnisvolle Irrtümer und Fehlentwicklungen auf. Und er machte deutlich, wie Wachstumsideologie, Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung und Architektur zusammenhängen.

Exponentielles Wachstum am Beispiel Stadt

„Wenn eine Stadt 100.000 Wohnungen hat und jährlich 4.000 Wohnungen hinzukommen – wie viel Prozent Wachstum sind das?“, fragt Moewes seine Leser – und liefert eine verblüffende Antwort: „Es ist Nullwachstum. Zwar wächst die Stadt in dieser Zeit unaufhörlich weiter. Ihr Wohnungsbestand verdoppelt sich nach 25 Jahren. Aber die Wohnungsproduktion bleibt stets gleich. Um ein gleichbleibendes Wachstum von 4 Prozent zu erzielen, muss unsere Stadt im ersten Jahr 4.000, im zweiten schon 4.160, im dritten 4.326, im zwanzigsten 8.426 und im dreißigsten Jahr 12.475 Wohnungen hinzubauen. Sie verdoppelt ihren Wohnungsbestand schon nach 18 Jahren und verdreifacht ihn nach 28.“

Einfacher und pointierter lässt sich die fatale Logik exponentiellen Wachstums nicht beschreiben. Nicht das Wachstum des Bestands wird gemessen, sondern das Wachstum der Produktion. Das führt dazu, dass sich der Bestand in immer kürzeren Zeiträumen vervielfacht.

Wohnträume forcieren Ressourcenverbrauch

Doch nicht nur das Wachstum ist das Problem, sondern auch die realisierten Gebäudetypen. Moewes vergleicht die Außenfläche-Volumen-Verhältnisse miteinander: Bei gleichen Volumen haben gegenüber 1-geschossigen Einfamilienhäusern 2-geschossige Reihenhauszeilen 44 % weniger Außenfläche, eine 4-geschossige Blockrandbebauung 63 % weniger und eine 16-geschossige Hochhausscheibe 68 % weniger. Entsprechend geringer ist bei gleichem Dämmstandard der sogenannte Transmissionswärmeverlust, also die Energie, die durch die Gebäudehülle verloren geht.

Gesetze belohnen Verschwendung

Einschub: Wer glaubt, durch die Einführung der Energieeinsparverordnung (EnEV) im Jahr 2001 hätte sich viel geändert, der irrt. Denn zur Berechnung des zulässigen Energiebedarfs dient das absurd umständliche „Referenzgebäudeverfahren“. Dessen versteckter Sinn ist, die Gebäudeform irrelevant werden zu lassen. Je unsinniger sie ist – viele Vor- und Rücksprünge, große Fenster usw. –, desto höher ist der zulässige Energiebedarf. Daran hat sich auch durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG), dass 2020 die EnEV ablöste, nichts geändert.

Von EnEV und GEG nicht gebremst, von billigen Grundstücken, billigem Benzin und staatlicher Pendlerpauschale befeuert, wurde die Landschaft stetig weiter zersiedelt. „Das Häuschen im Grünen ist nicht grün“, hatte Moewes gewarnt. Umsonst. So stieg die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner in Deutschland von 1995 bis heute von 36 auf 48 m2. Und je niedriger die Gebäude, desto höher der Pro-Kopf-Verbrauch an Bodenfläche. Zwar lassen sich theoretisch auf Siedlungsflächen mit jedem Gebäudetyp hohe bauliche Dichten erzielen, doch bei niedrigen Gebäuden bleibt dann nur noch wenig unbebaute Bodenfläche übrig. Dicht zu bauen ist zudem nicht beliebt und wurde deshalb kein politisches Ziel.

Entschiedenes Umdenken blieb bisher aus

Moewes plädiert faktenreich und wortstark für eine fundamentale Korrektur falsch gestellter Weichen. Er kritisiert die allgemeine Gedanken- und Verantwortungslosigkeit, die herrschende Wachstumsideologie, die Verklärung der Arbeit und die Verachtung von Vermeidungskonzepten. Es wird deutlich, warum die Architektur nicht die Gesetze der Ökonomie und warum die Ökonomie nicht die Gesetze der Physik ignorieren kann. Deshalb ist auch die Stadt der Zukunft keine auf der grünen Wiese neu gebaute Stadt, sondern die gegenwärtige Stadt – konsequent umgebaut, nachverdichtet und ökologisch transformiert.

Weil das 1995 erschienene Buch für die jetzige Neuausgabe nicht überarbeitet wurde, wird umso deutlicher, dass sich seither fast alles weiter in die falsche Richtung entwickelte, dass die von Moewes veröffentlichten Erkenntnisse und Lösungskonzepte kein wirkliches Umdenken bewirkten. Das Problem ist nicht, dass unsere Gesellschaft nicht weiß, was sie tut, sondern dass sie nicht tut, was sie weiß.

 


Buchtipp

Günther Moewes
Weder Hütten noch Paläste
Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft
Eine Streitschrift
Birkhäuser, 1995 / Nomen, Oktober 2021
264 Seiten, 20.00 Euro
978-3-939816-78-2