Klaus Buchner MdEP auf einer Demonstration gegen TISA in Brüssel – Foto: Simone Lettenmayer

Wirtschaft & Soziales

Weniger Neoliberalismus durch mehr Demokratie

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Die neoliberale Wirtschaftsordnung hat dazu geführt, dass vom erzeugten Wohlstand zunehmend eine kleine Elite profitiert. Diese Konzentration von Reichtum bedeutet auch: Macht. Sie gestaltet die Politik der EU maßgeblich mit – und damit auch die Politik ihrer Mitgliedsstaaten. Das hat der ÖDP-Europaabgeordnete Klaus Buchner hautnah erlebt. Nun erschien sein neues Buch „Diktatur der Märkte“.

Klaus Buchner hat seine Erfahrungen als Europaabgeordneter und seine ganze Wut über die Exzesse des globalen Neoliberalismus in sein Buch „Die Diktatur der Märkte“ gepackt. Es ist eine knallharte Abrechnung mit gierigen Wirtschaftsvertretern, die mit willfähriger Unterstützung der Politik Geschäfte auf Kosten des Gemeinwohls und der Umwelt betreiben. Doch der Buch-Untertitel „Aufbruch in die sozio-ökologische Wende“ signalisiert, dass Buchner nicht nur kritisiert, sondern auch konkrete Lösungsansätze aufzeigt. So befasst er sich beispielsweise ausführlich mit der EU-Handelspolitik. Dabei kommen seine Ausführungen nicht von ungefähr: Im Europaparlament ist er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel.

Fairer Handel statt Freihandel

Dort hat er miterlebt, was die EU unter Handelspolitik versteht und wie die vom Volk gewählten Europaabgeordneten bei den TTIP-Verhandlungen größtenteils ausgeschlossen wurden, während die Wirtschaftsvertreter laufend in Kontakt mit der EU-Delegation waren. 92 % der Lobby-Kontakte der EU-Kommission fanden mit Wirtschaftsvertretern statt, 4 % mit Vertretern öffentlicher Interessen. Nur einige Europaabgeordnete konnten die Verhandlungstexte in einem Leseraum einsehen, durften sich dabei ausschließlich handschriftliche Notizen machen und mussten sich zu strengem Stillschweigen verpflichten. Bei den Verhandlungen über andere Freihandelsabkommen war das Prozedere ähnlich.

Mit der Intransparenz einher ging eine systematische Übertreibung des Wirtschaftswachstums, das angeblich durch Freihandelsabkommen entsteht. Dabei gibt es für diese Behauptungen keinerlei gesicherte Erkenntnisse. Mit „beinahe null“ gibt Joseph E. Stiglitz, mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Wirtschaftswissenschafter, das durch Freihandelsabkommen entstehende Wachstum an. Was durch die Freihandelsabkommen allerdings zunimmt, das ist die Ungleichheit in den Gesellschaften, denn die Abkommen sind auf die Interessen der multinationalen Konzerne zugeschnitten. Buchner beschreibt als Gefahren den Druck auf die Umwelt- und Sozialgesetze, das Aufweichen des Vorsorgeprinzips sowie die Einrichtung einer Paralleljustiz aus sogenannten „Schiedsgerichten“.

Um die Auswüchse der aktuellen Handelspolitik zu unterbinden, formuliert Buchner zehn Regeln für Handelsverträge. Dazu zählt etwa eine größere Transparenz bei den Verhandlungen und mehr Zeit für die Parlamentarier, sich in die komplexen Gesetzestexte einzuarbeiten. Die Interessen der Menschen aus Ländern des globalen Südens müssen besser geschützt werden, indem z. B. die Spekulation mit Nahrungsmitteln verboten wird. Warenlieferungen sowie Maßnahmen, die die soziale Lage der betroffenen Bevölkerung verschlechtern, zu Menschenrechtsverletzungen führen oder die Umwelt erheblich schädigen, sind zu unterbinden. Mit Nachdruck warnt Buchner vor Sonderklagerechten für Investoren. Man wünscht sich, dass die für Handelspolitik zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström diese zehn Regeln über ihrem Schreibtisch aufhängt und jeden Tag einen Blick darauf wirft.

Mehr Demokratie auf allen Ebenen

Gemäß dem Wahlspruch der ÖDP „Ja zu Europa, aber …“ aus dem Europawahlkampf 2014 bezeugt Buchner seinen Respekt vor dem großen Friedensprojekt EU, zeigt sich jedoch besorgt über deren mangelnde demokratische Ausrichtung. Dabei ist nicht nur das übergroße Gewicht der Konzerne mit ihren Tausenden Lobbyisten in Brüssel gemeint, sondern auch die mangelhafte institutionelle Ausgewogenheit der EU. So plädiert Buchner dafür, dass die EU-Kommission künftig vom Volk gewählt wird. Aktuell muss der Kommissionspräsident zwar vom Europaparlament bestätigt werden, die einzelnen Kommissare müssen das jedoch nicht. Das Europaparlament kann die EU-Kommission nur als Ganzes ablehnen oder bestätigen.

Des Weiteren tritt Buchner für eine Reform des Europaparlaments ein: für ein Zwei-Kammern-System, wie wir es in Deutschland haben. Die erste Kammer wäre ein Parlament, in dem – anders als bislang – jede Abgeordneten-Stimme gleich viel zählt. Bislang haben die Abgeordneten der kleineren Länder ein überproportionales Gewicht. Damit diese kleineren Länder nicht an den Rand gedrängt werden, sollte es eine zweite Kammer ähnlich dem deutschen Bundesrat geben.

Trotz allem zeigt sich Buchner nicht als Pessimist. Er zitiert den früheren Umweltminister Klaus Töpfer mit dem Satz „Die Lage ist zu ernst, als dass man pessimistisch sein dürfte“ und verweist auf den wachsenden Widerstand gegen die neoliberalen Praktiken. In Deutschland gingen an einem Tag mehr als 300.000 Menschen gegen CETA und TTIP auf die Straße. Ein wichtiger Punkt ist für Buchner die Unabhängigkeit der Parteien von Geldern aus der Wirtschaft. Er fordert ein Verbot von Firmenspenden und Sponsoring.

Darüber hinaus spricht sich Buchner dafür aus, die Rolle der kleinen Parteien zu stärken. Neben der Abschaffung der 5-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen schwebt ihm ein anderes Wahlsystem vor: Der Wähler sollte durch drei mögliche Bewertungen zu jeder Partei ausdrücken, wie stark oder schwach seine Ablehnung jeweils ist. Dadurch würde das politische Spektrum bunter und es wäre nicht mehr so leicht möglich, durch Wahlkampfspenden an eine oder zwei große Parteien das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Zu guter Letzt betont Buchner die wichtige Rolle von bundes- und europaweiten Volksentscheiden für die Weiterentwicklung der Demokratie. Nur so lässt sich der Politikverdrossenheit entgegenwirken sowie der Einfluss des von Konzernen und Wirtschaftsverbänden propagierten Neoliberalismus einschränken.


Buchtipp

Klaus Buchner
Diktatur der Märkte
Aufbruch in die sozio-ökologische Wende
Tectum, September 2018
180 Seiten, 19.95 Euro
978-3-8288-4161-1