Klimaschutz: Gestaltungsspielräume konsequent nutzen!
12. Dezember 2020
Die Klimawärmung ist seit den 1990er-Jahren ein zentrales Umweltschutzthema, doch bis heute agiert die Politik nur sehr zögerlich. Sie tut nicht, was sie weiß. Dabei mangelt es überhaupt nicht an durchdachten Maßnahmen, Konzepten und Strategien, sondern vernehmlich am politischen Willen, diese umzusetzen. Das muss ich schleunigst ändern.
von Ulrich Brehme
Eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 °C kann nur durch eine globale Koordination der Umweltpolitik erreicht werden. Das Pariser Klimaabkommen sollte die Grundlage dafür sein. Die CO2-Emissionen müssen um 80 % reduziert werden. Insbesondere die sogenannten „Kipppunkte“ in der klimatischen Entwicklung stellen eine Gefahr für die Menschheit dar. Ein „Umkippen“ natürlicher Systeme würde zu abrupten, irreversiblen Schäden führen und Lebensräume zerstören.
Ende 2016 betrug das CO2-Budget 1.210 Gt CO2 für das 2-Grad-Ziel und 460 Gt CO2 für das 1,5-Grad-Ziel. Auf dieser Basis hätte eine Einigung erfolgen müssen, wie viel jedes Land bis zum Jahr 2100 noch emittieren darf. Stattdessen durfte jedes Land seinen nationalen Beitrag zum Klimaschutz eigenständig festlegen. Es wurden nur illusionäre Klimaziele formuliert. Die globale Klimapolitik ist bisher gescheitert.
Der Klimaschutz ist ein internationales öffentliches Gut. Seine Kosten fallen sofort dort an, wo CO2-Emissionen reduziert werden, sein Nutzen später und weltweit verteilt. Die Auswirkungen des Nichthandelns treten zeitlich verzögert ein. Erst in Krisen sind viele Menschen bereit, Gewohntes zu verändern. Und es braucht Zeit, Veränderungen politisch wirksam umzusetzen. Deshalb verhalten sich viele Länder als „Trittbrettfahrer“. Unsere Chance liegt aber in der konsequenten Nutzung von Gestaltungsspielräumen. Dazu gehört auch, unsere Recyclingsysteme weiter zu entwickeln und unsere Ressourcenproduktivität zu steigern.
Statt immer weiter an der expansiven Wirtschaftsweise festzuhalten, brauchen wir eine wachstumsunabhängige Ausrichtung unseres wirtschaftspolitischen Rahmens. Wirtschaftswissenschaftler errechnen immer noch Wachstumskurven, obwohl klar ist, dass es bei einer Internalisierung der externen Kosten gar kein Wachstum gäbe. Wir zerstören heute die Ressourcen der zukünftigen Generationen.
Über aufkommensneutrale Ökosteuern muss Energie teurer werden. Die Lohnnebenkosten müssen dafür gesenkt werden. Ein notwendiger ökologischer Strukturwandel wird die verschiedenen Regionen und Branchen unterschiedlich stark treffen, aber durch erneuerbare Energiesysteme und eine regenerative Landwirtschaft entstehen insgesamt mehr Arbeitsplätze.
Wir brauchen eine verursachergerechte Kostenstruktur. Emissionen müssen teurer werden und klimaverträgliches Verhalten billiger. Externe Kosten sind ins Marktgleichgewicht zu internalisieren, zukünftige Schäden den heutigen Verursachern in Rechnung zu stellen. Die CO2-Bepreisung über den Europäischen Emissionshandel ist ein mögliches Instrument dafür. Die deutsche Klimapolitik hat prinzipiell einen richtigen Weg gewählt, setzt den CO2-Preis aber noch viel zu niedrig an. Emissionshandelssysteme benötigen einen Mindestpreis, um sinnvoll funktionieren zu können. Wenn es zu einer weiteren Verknappung der Emissionszertifikate im EU-Emissionshandel kommt, steigen die CO2-Preise. Der Anteil der Emissionen, die im EU-Emissionshandelssystem einbezogen werden, sollte bis 2030 auf 70 % steigen. Wo auf erneuerbare Energien umgestellt oder Energie eingespart wird, fällt keine CO2-Steuer mehr an.
Um die Preisbildung nicht zu verzerren, sind Antidumpingzölle gegenüber Importen aus Gebieten ohne Emissionshandel einzuführen, sonst kommt es zur Verlagerung von CO2-Emissionen. In internationalen Handels- und Investitionsabkommen sind Klimaaspekte stärker zu berücksichtigen sowie ökologische und soziale Mindeststandards verbindlich zu vereinbaren. Damit der Aufholprozess ärmerer Länder mit modernen Umwelttechnologien geschieht, sind die Einstiegskosten in neue Technologien weiter zu verringern.
Wenn die Umweltzerstörung einen Preis bekommt, werden auch die Finanzmärkte hohe CO2-Emissionen als Risiko einkalkulieren. Das Haftungsprinzip für Emissionsvergehen durch Unternehmen muss viel durchgreifender wirksam sein. Großen Öl-, Kohle- und Autokonzernen stehen gigantische Finanzmittel zur Verfügung, um Öffentlichkeit und politische Entscheider zu manipulieren. „Es ist nicht der Widerstand gegen wissenschaftlich gesicherte Fakten des Klimawandels, die die Leugner des Klimawandels antreiben, sondern die Opposition gegen die Folgerungen, die sich real aus diesen Fakten ergeben“, schreibt Naomi Klein. Schluss mit dem Zombie-System der Spekulation an den Börsen! Stattdessen brauchen wir die Analyse der Geschäftsmodelle auf die langfristige Gewinnentwicklung vor dem Hintergrund der Wirkung der Produkte auf den Klimawandel.
Die großen Internetkonzerne betreiben ein parasitäres System, das sich immer weiter ausbreitet. Sie haben Monopole aufgebaut, kaufen innovative Konkurrenten auf und setzen ihre technischen Standards durch. Sie entziehen sich der Besteuerung, umgehen den Datenschutz, schaffen Möglichkeiten zur Totalüberwachung und manipulieren Wahlen. Digitale Lösungen könnten aber auch der Ungleichheit und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken. Sie könnten zeigen, wie klimawirksam das eigene Handeln ist. Um die staatliche Gestaltungshoheit trotz der Privatisierung vieler Dienstleistungen nicht zu verlieren, benötigen die zuständigen Behörden den Zugriff auf anonymisierte Kundendaten der Nutzung der kommunalen Infrastruktur.
„Das, was wir heute tun, ist Teil von dem, was in der Zukunft sein kann. Und wenn wir heute diese Dinge nicht tun, kann es nicht Teil der Zukunft werden“, sagt Maja Göpel vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.