Für eine Volkswirtschaft gibt es nur die Alternativen Wachstum oder Schrumpfung. Schrumpfung löst eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale aus. – Foto: cgcolman/pixabay.com

Wirtschaft & Soziales

„Um eine Abwärtsspirale zu vermeiden, braucht es Wachstum“

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Mit der Frage, warum unsere Volkswirtschaften selbst dann weiterwachsen müssen, wenn wir eigentlich genug haben und zufrieden sind, beschäftigt sich dieser Schweizer Volkswirtschaftsprofessor. – Interview Nr. 1 in einer Reihe von 8 Interviews mit jeweils identischen Fragen.

Interview mit Prof. Dr. Mathias Binswanger

 

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Binswanger, warum gilt in der Wirtschaftspolitik Wachstum als primäres Ziel?

Prof. Dr. Mathias Binswanger: Weil die Wirtschaft ohne Wachstum schnell in Probleme gerät, welche auch die Politik betreffen. Am besten lassen wir hier Angela Merkel zu Wort kommen – Originalzitat: „Ohne Wachstum keine Investitionen, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung, ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen. Und umgekehrt: Mit Wachstum Investitionen, Arbeitsplätze, Gelder für die Bildung, Hilfe für die Schwachen und – am wichtigsten – Vertrauen bei den Menschen.“ Wenn Politiker so denken, dann muss Wachstum das primäre Ziel sein.

Welche sozialen Folgen hat es, wenn die Wirtschaft nicht wächst oder gar schrumpft?

Es gibt nur die Alternativen Wachstum oder Schrumpfung. Kaum wächst die Wirtschaft nicht mehr, so beginnen Unternehmen vermehrt Verluste zu machen und es kommt zu Entlassungen, was wiederum bei anderen Anbietern zu Verlusten führt. Um eine solche Abwärtsspirale zu vermeiden, braucht es Wachstum. Die sozialen Folgen bestehen in erhöhter Arbeitslosigkeit, sinkenden Einkommen und damit verbundenen Problemen der weiteren Finanzierung des Sozialstaates.

Bedeutet Wirtschaftswachstum zwangsläufig auch ein Wachsen des Rohstoff- und Energieverbrauchs und damit der Umweltzerstörung?

Nein. Der Zusammenhang ist nicht zwingend. Wir können eine Einheit des BIP mit mehr oder weniger Energieverbrauch oder Umweltzerstörung produzieren. Es gibt ein erhebliches Potenzial, das Wirtschaftswachstum weiter vom Energie- und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und damit auch die CO2-Emissionen zu verringern. Allerdings ist das in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz relativ leicht möglich, weil wir ressourcenintensive Produkte zu einem großen Teil importieren und Emissionen deshalb im Ausland anfallen. Wir müssen den Zusammenhang deshalb auf globaler Ebene anschauen. Und dort ist es bis heute nicht gelungen, einen absoluten Rückgang der CO2-Emissionen bei weiterem BIP-Wachstum hinzubekommen. Die Entkopplung stößt immer wieder an Grenzen wegen des Rebound-Effekts. Jede Produktivitätssteigerung ist immer auch eine Chance, wieder mehr zu produzieren – so wie es die Wachstumslogik der Wirtschaft verlangt.

Wie müsste eine Wirtschaftsordnung aussehen, die das Ziel „Nachhaltigkeit“ ernsthaft verfolgt und erreichen kann?

Am stärksten ist der Druck zu Gewinnmaximierung bei an der Börse kotierten Aktiengesellschaften. Es geht dort um die Maximierung des Shareholder-Values, der von den Erwartungen zukünftiger Gewinne und den daraus bezahlten Dividenden abhängt. Lebt eine Aktiengesellschaft den Shareholder-Value-Gedanken nicht nach, dann wird sie schnell zu einem Übernahmekandidaten an der Börse. Solche Unternehmen werden dann aufgekauft und das Management ausgetauscht, damit wieder ein maximaler Gewinn angestrebt wird. Aus diesem Grund kann man von den Managern einer Aktiengesellschaft nicht erwarten, dass jetzt plötzlich Nachhaltigkeit zu einem primären Ziel wird. Bei anderen Unternehmensformen wie z. B. Genossenschaften ist es hingegen möglich, auch andere Ziele als Gewinnmaximierung ernsthaft zu verfolgen. Will man den Wachstumszwang mildern, muss man sich auch überlegen, welche Unternehmensformen dies ermöglichen.

Wie sinnvoll sind die aufgrund der Corona-Pandemie initiierten Rettungsfonds und Konjunkturprogramme?

Hier muss man differenzieren. Die Rettungsfonds waren notwendig, um Wirtschaften kurzfristig vor massiven Unternehmenszusammenbrüchen und hoher Arbeitslosigkeit zu bewahren. Die Konjunkturprogramme sind hingegen wenig geglückte Alibiübungen, wo man mit viel Geld wenig erreicht. Die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer wird den Konsum kaum beleben. Die Programme sind insgesamt weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Es handelt sich um Kompromisse, mit denen man alle etwas zufriedenstellen wollte.

Birgt die Staatsverschuldung Gefahren?

Die Staatsverschuldung an sich ist kein Problem, solange in Zukunft weiterhin Wirtschaftswachstum stattfinden wird, denn dann steigen auch die Steuereinnahmen des Staates wieder an. Generell ist Staatsverschuldung dann ein Problem, wenn die Zinsen hoch sind und ein immer größerer Teil des Staatshaushalts für Zinszahlungen aufgewendet werden muss. Das ist im Moment aber nicht der Fall. Ebenfalls ein Problem ist es, wenn die Verschuldung im Ausland erfolgt und Zinszahlungen bzw. Rückzahlungen mit Geldabflüssen ins Ausland verbunden sind.

Herr Prof. Binswanger, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipp

Mathias Binswanger
Der Wachstumszwang
Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben
Wiley, Mai 2019
310 Seiten, 24.99 Euro
978-3-527-50975-1


Onlinetipps

Mathias Binswanger
Der Wachstumszwang
Münchner Forum Nachhaltigkeit, Vortrag, 12.03.2020
www.t1p.de/d4xz

Mathias Binswanger
Wirtschaftswachstum: Vom Heilsversprechen zur Zwangshandlung
Club of Vienna, Vortrag, 22.05.2019
www.t1p.de/prup

Mathias Binswanger
Warum mehr Geld nicht glücklich macht
BildungsTV, Vortrag, 11.04.2018
www.t1p.de/v44h