Die Autos werden immer größer. Der Anteil der SUV bei den Neuzulassungen stieg von 10% im Jahr 2014 auf über 20% im Jahr 2019. – Foto: Frank Walensky/pixelio.com

Bauen & Verkehr

Wir brauchen eine Rohstoffwende

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Beim Fahren verbrauchen Autos große Mengen Energie. Bei ihrer Herstellung jedoch auch – und vor allem große Mengen Rohstoffe. Der Rohstoffverbrauch der Automobilindustrie wächst, vor allem auch, weil die Zahl der SUV-Zulassungen stark zunimmt. Mit dem Abbau der Rohstoffe verbunden sind Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen.

von Michael Reckordt

Die Politik fördert den motorisierten Individualverkehr und die Autoindustrie. Subventionen für Dieselkraftstoff kosten jährlich Milliardensummen. Das Dienstwagenprivileg begünstigt den Kauf großer, spritfressender Autos steuerlich. Beim Dieselskandal wurden Nachrüstungen politisch lange Zeit verhindert. Der ÖPNV und das Bahnfahren werden hingegen teurer. Deutschland ist ein Autoland. Das zeigt sich auch an Initiativen der Industrie. Tesla kündigte kürzlich eine Gigafactory nahe Berlin an. Und Volkswagen will in den nächsten zehn Jahren 22 Mio. Elektroautos fertigen.

So sehr E-Autos als vermeintliche Klimaretter gepriesen werden, bleibt ein gravierendes Problem bei der Autoproduktion bestehen: die Rohstoffe. Unabhängig von ihrem Antrieb haben Autos einen hohen Rohstoffbedarf. Die in deutschen E-Autos verbauten metallischen Primärrohstoffe – d. h. aus dem Bergbau gewonnene Rohstoffe – stammen fast zu 100 % aus Importen. Häufig kommen Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer, Nickel und Zinn aus Ländern des globalen Südens. Dort hat unsere Abhängigkeit vom Auto gravierende Folgen für Menschen und Umwelt.

Beispiel Eisenerz

Die Karosserien von E-Autos bestehen zum Großteil aus Stahl, der in Form von Eisenerz beispielsweise aus Brasilien nach Deutschland exportiert wird. Die Förderung des Eisenerzes verursacht eine große Menge giftiger Minenschlämme. Diese Schlämme werden in Rückhaltebecken gesammelt, die häufig instabil sind. Ende 2015 und Anfang 2019 kam es in Brasilien zu massiven Umweltkatastrophen, weil Rückhaltebecken brachen. Giftige Minenschlämme überfluteten große Landstriche. Hunderte Menschen starben, Tausende verloren durch die Umweltzerstörung ihren Lebensunterhalt und Millionen waren vom Zugang zu sauberem Trinkwasser abgeschnitten. Seit 2002 ist jedes zweite Jahr ein Rückhaltebecken in Brasilien gebrochen. Untersuchungen zufolge wurden weltweit bei jedem zehnten Bergbau-Damm schon Stabilitätsprobleme entdeckt.

Beispiel Bauxit

Für eine Leichtbauweise von Karosserien wird verstärkt Aluminium verwendet. Aluminium wird aus Bauxit gewonnen. Deutschland war 2017 drittgrößter Verbraucher von Aluminium, 93 % der Bauxit-Importe kamen aus Guinea. Dort wurde unter anderem mit Kreditgarantien der Bundesregierung und der Weltbank eine Bauxit-Mine ausgebaut. Mehr als 500 Betroffene aus den Dörfern haben eine Beschwerde bei der Weltbank eingereicht, da ihre Lebensgrundlage zerstört und ihnen der Zugang zu Wasser genommen wurde.

Beispiel Kobalt

Zur Herstellung von Akkus für E-Autos werden große Mengen Kobalt benötigt. Mehr als die Hälfte der globalen Minenproduktion stammt dabei aus der Demokratischen Republik Kongo. Der Abbau geht mit gravierenden Konflikten zwischen industriellem und artisanalem, d. h. von Kleinschürferinnen und Kleinschürfern betriebenem Bergbau einher. Deren Arbeitsbedingungen sind zwar oft schlecht, doch der artisanale Bergbau stellt eine wichtige Einkommensquelle von rund 1 Mio. Kongolesinnen und Kongolesen dar. Der Kleinbergbau wird nun durch industriellen Bergbau immer mehr verdrängt. Die industrielle Kobaltförderung wird bestenfalls 22.000 Arbeitsplätze schaffen. Anstatt die Bedingungen im Kleinbergbau zu verbessern, konzentrieren sich Politik und Industrie auf die Förderung des industriellen Bergbaus, ohne dabei aber die oft undurchsichtigen Lieferketten wirksam zu reformieren.

Mehr Verantwortung!

Um die teils katastrophalen Folgen des Abbaus von Rohstoffen zu verringern, müssen Autokonzerne und andere rohstoffverbrauchende Unternehmen per Gesetz verpflichtet werden, Verantwortung entlang ihrer gesamten Rohstofflieferkette zu übernehmen. In Deutschland und der EU ansässige Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Lieferketten offenzulegen, die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu untersuchen und negativen Auswirkungen entgegenzutreten. Gleichzeitig braucht es verbindliche Regeln, die Unternehmen haftbar machen, wenn sie Menschenrechte verletzen.

Die beiden Bundesminister Hubertus Heil und Gerd Müller haben im Dezember 2019 angekündigt, Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz auszuarbeiten. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande haben bereits Gesetze zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen verabschiedet.

Weniger Autos!

Aus entwicklungspolitischer Sicht sind sowohl fossil als auch elektrisch betriebene Autos problematisch. Der Rohstoffverbrauch in Deutschland übersteigt ein nachhaltiges und global gerechtes Maß bei Weitem. Ziel einer zukunftsfähigen und global gerechten Mobilitätspolitik muss deshalb sein, die Zahl der Autos und die mit ihnen zurückgelegten Kilometer drastisch zu reduzieren. Eine wirksame Maßnahme wäre, ab 2025 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen. Eine andere wirksame Maßnahme wäre die spürbare Verknappung und Verteuerung von Parkraum. Gleichzeitig müssen umweltfreundliche Verkehrsträger Vorrang erhalten.


Onlinetipp

PowerShift u. a. (Hrsg.) / Merle Groneweg, Laura Weis (Autorinnen)
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit
Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende
Studie, November 2018
www.t1p.de/und3