Mit seiner Kampagne „Meine 114 Euro für …“ kämpft der NABU für eine entschlossene und konsequente Agrarwende.

Landwirtschaft & Ernährung

Entscheidung über die Zukunft unserer Ernährung

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Die Subventionierung der Landwirtschaft ist seit den 1950er-Jahren ein zentrales Handlungsfeld in der europäischen Zusammenarbeit. Die Lebensmittelversorgung sicherzustellen, war ihr ursprüngliches Ziel, doch im Lauf der Jahrzehnte führte sie immer mehr zu einer Intensivierung der Landwirtschaft und zur Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Seit mehr als einem Jahr macht der dramatische Rückgang der Insekten Schlagzeilen. Der massive Artenschwund – der neben Insekten auch Vögel, Säugetiere, Amphibien, Kleinstlebewesen und Pflanzen betrifft – ist ein Problem. Und zwar eines, das möglicherweise noch dramatischere Folgen haben könnte als die Klimaerwärmung. Denn ohne Insekten und ihre Leistungen bei der Bestäubung und Schädlingskontrolle würden wir Menschen nur wenige Jahre überleben. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet sich daher erstmals auch ein klarer Auftrag: ein Aktionsprogramm für Insekten, mehr Geld für den Naturschutz – und die Neuausrichtung der alles bestimmenden „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) der EU.

Die GAP-Verhandlungen für die Jahre 2021 bis 2027 laufen in Brüssel bereits auf Hochtouren. Doch anstatt sich nun dort mit Kraft und Mut ans Werk zu machen, verbringen in letzter Zeit zahlreiche verantwortliche Politikerinnen und Politiker auffällig viel Zeit damit, freiwilliges Engagement zu loben – z. B. dass Landwirte Blühstreifen anlegen oder Verbraucher zu Bio-Produkten greifen, auch wenn dies für beide jeweils einen finanziellen Mehraufwand bedeutet. Häufig zeigen sich verantwortliche Politikerinnen und Politiker auch bei Modellprojekten, die testen, wie die Landwirtschaft mehr für Vögel und Insekten tun kann. Beliebt ist zudem die Forderung nach mehr Forschung zu den Ursachen des Insektensterbens.

Natürlich brauchen wir engagierte Landwirte und Verbraucher. Und auch weitere Forschung. Aber die Zukunft der Artenvielfalt und unserer Ernährung hängt ganz entscheidend von der Frage ab, ob eine naturfreundliche Landwirtschaft Pflicht wird oder sich ökonomisch lohnt. Beides ist bisher nicht der Fall.

Pauschale Flächensubventionierung: Anreiz zur Intensivierung

Was den Umgang mit der Umwelt angeht, genießt die Landwirtschaft bisher große Privilegien. Würden etwa Chemieunternehmen unsere Flüsse und Meere noch derartig belasten, wie es die Agrarindustrie tut, wären sie längst mit schärferen Auflagen belegt. Bei der Landwirtschaft hingegen wird weitestgehend weggeschaut, man verweist auf unklare Definitionen von „guter fachlicher Praxis“. Und darauf, umweltgerechtes Verhalten mit öffentlichen Mitteln vergüten zu müssen.

Das größte Problem ist die jetzige Form der EU-Agrarpolitik und ihre Geldverteilung. Milliarden fließen in die pauschale Flächensubventionierung. Dadurch sind jene Betriebe im Vorteil, die zu Pestiziden und reichlich Düngemitteln greifen, die jeden Quadratmeter möglichst effizient bewirtschaften. So bleibt kein Raum für blühende Wiesen und Hecken, kein Platz für Insekten und Vögel. Seit Jahrzehnten hat sich auf diese Weise ein profitables Geschäft etabliert für jene, die mit Pestiziden und Düngemitteln ihr Geld verdienen. Und wer Land verpachtet, schlägt einen guten Teil der EU-Gelder gleich auf den Pachtpreis auf, den die Landwirte zahlen müssen.

Umweltfreundliche Produktion muss sich finanziell lohnen

Die pauschalen Flächenprämien sollten deshalb beendet werden und unsere Steuergelder allein in Maßnahmen fließen, die landwirtschaftliche Betriebe zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit bewegen – bei der Produktion wie bei der Vermarktung. Die EU sollte in einen Wandel investieren, der am Ende zu fairen Preisen führt. Zu Preisen, von denen Landwirte gut leben können – ohne die Natur zu zerstören. Im Gegenzug würden Lebensmittel produziert, die gesund für uns Konsumenten und für unseren Planeten sind.

Bisher kostet die GAP uns Steuerzahler jedes Jahr fast 60 Mrd. Euro. Das sind 114 Euro pro EU-Bürger. In Deutschland fließen hiervon knapp 90 Euro in die ineffizienten und umweltschädlichen Flächenprämien. Lediglich 25 Euro werden über den Fonds für die ländliche Entwicklung eingesetzt, aus dem auch Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen bezahlt werden können – wenn die Bundesländer dies entsprechend ausgestalten und mit eigenem Geld aufstocken. Basierend auf Zahlen der Bundesregierung, fließen weniger als 5 Euro aus Brüssel konkret in die Rettung von Insekten, Vögeln und Schutzgebieten.

GAP-Verhandlungen laufen aktuell in die falsche Richtung

Die laufenden GAP-Verhandlungen sind vielleicht die letzte Chance, diese Verhältnisse geradezurücken. Wenn nicht jetzt ein grundlegender Wandel geschieht, droht die Akzeptanz der Bevölkerung für jegliche Förderung der Landwirtschaft zu verschwinden. Dann bleiben nur die unausweichliche Verschärfung von Umweltstandards, Verbote und Regeln – und die Chance einer sozialverträglichen Umstellung wäre vertan. Bäuerinnen und Bauern wären Opfer eines Politikversagens, wie es die Dieselfahrer gerade erleben.

Bei ihrem Amtsantritt vor bald einem Jahr erklärte Bundesagrarministerin Julia Klöckner die Biene und mit ihr alle Insekten für „systemrelevant“. Sie betonte die Notwendigkeit einer umweltfreundlicheren EU-Agrarpolitik. Ihr Ministerium solle ein „Lebensministerium“ sein. Doch was ist seitdem geschehen? In Brüssel machen die EU-Agrarminister derzeit Nägel mit Köpfen – nach aktuellem Stand leider Sargnägel für die Insekten: mehr Geld, weniger Vorgaben. Ein Freibrief für eine noch intensivere Landwirtschaft. Das ist – vereinfacht gesagt – auch die Devise, welche die Agrarverbände ausgegeben haben. Die Bundesregierung schweigt bislang dazu. Es ist nicht bekannt, dass sich Frau Klöckner auch nur ein einziges Mal in Brüssel für konkrete und wirksame Umweltvorgaben in der GAP eingesetzt hätte. Fortschrittlichere Staaten wie die Niederlande warten vergebens auf deutsche Unterstützung.

Weder Landwirte noch Verbraucher können im Alleingang die Insekten retten. Dazu braucht es vor allem einen politischen Rahmen aus Gesetzen und Förderung. Aus dieser Verantwortung darf sich die Bundesregierung nicht herausstehlen.


Onlinetipp

NABU-Kampagne
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