Fronleichnamsprozession in der Münchner Ludwigstraße – Foto: Duernsteiner/pixabay.com

Gesellschaft & Kultur

„Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde“

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Heimat – persönliche Erfahrungen II: Normalerweise denken wir nicht viel über sie nach. Denn sie ist einfach da. Doch was ist, wenn wir die alte verlassen und uns in einer neuen niederlassen? Einwanderer können deshalb viel über Heimat sagen. Wie war das für einen Engländer, der bewusst nach Bayern zog?

Interview mit Paul Holmes

 

ÖkologiePolitik: Herr Holmes, seit wann leben Sie in Deutschland?

Paul Holmes: Ich bin im Juni 1992 direkt von London nach München gezogen und lebe seitdem hier.

Was war der Grund, sich hier niederzulassen?

Ich bin nicht von ungefähr Germanist! Ich habe alle Studiengänge, die ich in England belegte, so ausgerichtet, dass ich auch in Bayern beruflich tätig werden konnte. Schon als 10-Jähriger wollte ich unbedingt Deutsch lernen. Und ein glücklicher Zufall verfügte nicht nur, dass mein Gymnasium schon für 13-Jährige Deutsch als Lehrfach anbot, sondern auch, dass wir einen Deutschlehrer aus Österreich hatten, der uns schon in der 9. Klasse auf einer Klassenfahrt nach Bayern brachte. Das war 1971. Ich habe mich prompt in das Land verliebt.

Fühlen Sie sich heute heimisch?

Nein, denn Bayern hat sich in letzter Zeit gravierend geändert. Die CSU feierte dereinst das kulturell Bayrische und einhergehend eine gewisse politische Sonderstellung in der Republik. Das ist leider mit den Berliner Regierungen einem Zentralisierungsdrang anheimgefallen. In Schottland soll Scots – schottisches Englisch – in den Schulen gefördert werden. Das müsste auch fürs Bayrische gelten! Bayerns bis vor Kurzem lebendige Kultur ist zur musealen Folklore verkommen. Schade eigentlich. Doch damals konnte ich hier noch Wurzeln schlagen. Und mit Ausnahme meiner Schwester in England sind meine wichtigsten menschlichen Beziehungen alle hier in Deutschland.

Wie lange dauerte es, bis Sie sich heimisch fühlten?

Ich fühlte mich sofort in Bayern heimisch und konnte ohne Schwierigkeiten Freundschaften und, ja, auch Liebschaften knüpfen. Mein Umzug hierher war ja auch die geglückte Erfüllung eines Jugendtraums.

War es schwierig? Was war dabei wichtig?

Es war gar nicht schwierig. Ich empfinde die Menschen hier als aufgeschlossen und immer hilfsbereit. Besonders erwähnen möchte ich die bayrischen Beamten, die immer eine Menschlichkeit an den Tag legten, die man in England überhaupt nicht erwarten darf. Ich liebe den bayrischen Humor. Und wenn man das Granteln versteht, ist man hier gut angekommen.

Wie wichtig ist die Sprache?

Äußerst wichtig und unentbehrlich. Es ist mir ein Gram, dass ich die wunderschöne bayrische Sprache nicht beherrsche, aber das kann man schließlich auch für viele Einheimische konstatieren. An der Sprache hängt auch der Humor. Meine bayrischen Berufskollegen waren immer meine Lieblingskollegen, mit denen ich sehr gut konnte.

Was betrachten Sie noch als Ihre Heimat?

Karl Jaspers hat mal gesagt: „Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde.“ Im Falle Bayerns traf das weitaus mehr als im Falle meines Geburtslandes zu. So begeisterte mich als junger Mann die Selbstverständlichkeit des Katholischen hierzulande. In England ist die katholische Kirche immer noch ein Fremdkörper – man wird als „Papstversteher“ verhöhnt. Auch versprach ich mir vom demokratischen System hierzulande eine größere persönliche Stimmgewalt, haben wir in England doch noch immer das uralte Mehrheitswahlrecht. In Bayern dagegen kann man viel effektiver an der politischen Willensbildung mitwirken. Während ökologische Belange in den beiden großen englischen Parteien – Labour Party und Conservative Party – konsequent stiefmütterlich behandelt werden, gibt es in Bayern sogar zwei ökologische Parteien. Was für ein Luxus! Ich fühlte mich deshalb hier mehr „zu Hause“ als in England. Seitdem hat sich jedoch vieles geändert.

Welche dieser Heimaten ist Ihnen am wichtigsten?

Die seelische. Aber das empfinde ich nicht mehr als Geborgenheit, vielmehr grenzt es an innerliche Flucht. Die Jugendträume, die sich alle zunächst erfüllten, sind wieder zu bloßen Träumen geworden.

Herr Holmes, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.