Leserbriefe

Leserbrief zur neu gestalteten ÖkologiePolitik

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Simon Kirschner aus 85080 Gaimersheim schreibt:

Mit der verkleinerten ÖP scheint man sich auch mit einem weiteren Kleinsein der ÖDP abgefunden zu haben. Wo bleibt der Protest gegen die Wiedereinführung einer Sperrklausel bei den Europawahlen, nachdem selbst das höchste Gericht die Verfassungswidrigkeit einer Sperrklausel vertritt? Wie kann man von einer freien und gleichen Wahl sprechen, wenn man aus Angst vor der missbrauchten Stimme eine andere Partei wählt? Auch wenn nach Art. 3 GG keiner aufgrund seiner Herkunft wie politischen Einstellung benachteiligt oder bevorzugt werden darf, nimmt man auch eine grundrechtswidrige Sperrklausel auf Bundesebene hin, die 1952 von den damals mächtigen Parteien beschlossen wurde.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zweimal deutsche Regelungen für eine Sperrklausel bei Europawahlen gekippt. 2011 urteilten die Karlsruher Richter, dass eine Fünf-Prozent-Hürde im Europawahlrecht verfassungswidrig sei. Im Jahr 2014 urteilte das Verfassungsgericht, dass eine Drei-Prozent-Klausel nicht rechtens sei. Widerspricht nicht auch das einer Demokratie, wenn mächtige Regierungsparteien selbst über den Ausschluss ungeliebter Parteien entscheiden können? Bedenklich, wenn die jetzige Ampelregierung mit einer Absegnung des Bundespräsidenten es fertigbrachte, auch noch die Grundmandatsklausel abzuschaffen, die eine 5-%-Sperrklausel umgeht, wenn eine Partei auf Bundesebene mindestens drei Direktmandate erhält. Eine solche immer noch hochgelobte Demokratie muss wirklich nicht am Hindukusch und derzeit mit massiver Waffengewalt auch noch in der Ostukraine verteidigt werden. Bedenklich, dass eine „wertebewusste“ Ampelkoalition sich im Koalitionsvertrag für eine Hürde bei der Europawahl ausgesprochen hat.
Wenn wir als ÖDP bei Wahlen in Ländern wie im Bund von unseren beklagenswerten Tiefständen wegkommen wollen, ist ein deutlicheres Engagement für den Fall der grundrechtswidrigen 5-%-Sperrklausel erforderlich. Ein Sich-Abfinden mit einer Art Ersatzstimme ist ein Sich-weiter-klein-Machen, was einer freiheitlich demokratischen Grundordnung unwürdig ist. Gleiche und freie Wahlen sind nicht mehr gewährleistet, wenn die Sympathie einer Partei gehört und man hören muss, dass sie wegen der Sperrklausel eh keine Chance hat und man deswegen lieber eine etablierte Partei wählt. Es ist eine grobe Missachtung des Wählerwillens, wenn Stimmen für Parteien, die nicht die 5-%-Hürde überschreiten, bei der Mandatsverteilung auch noch den etablierten Parteien zugutekommen, wodurch die CSU bei der Landtagswahl 2003 in Bayern sogar eine Zweidrittelmehrheit der Mandate erreichen konnte. Kommen mit einer Sperrklausel nicht permanent verzerrte Wahlergebnisse heraus, wenn man aus Angst vor der verlorenen (besser missbrauchten!) Stimme gar nicht wählt oder sich für einen faulen Kompromiss entscheidet?
Mir scheint, dass noch immer schlechte Erfahrungen mit vielen Parteien aus der Vorkriegszeit negativ nachwirken. Offensichtlich will man nicht zur Kenntnis nehmen, dass es damals weder ein Parteiengesetz noch einen Artikel 21 GG gab. Dass wir jetzt auch den Asylartikel im Gegensatz zu dem erwähnten Grundrechtsartikel nicht selten mehr als 100 % erfüllen, ist wohl auch eine Folge unbewältigter Schuldgefühle. Wenn wir inzwischen ganz schön kinderarm und alt aussehen, müsste man doch endlich auch den Grundrechtsartikel 6 ernster nehmen. Höchst bedenklich, wenn vor allem Frauen, die für echtes Wachstum sorgen, nicht selten in materielle Armutsfallen geraten.
Einfach so weiterzumachen und sich mit grundrechtswidrigen Wahlsystemen abzufinden, heißt, die Machtstrukturen der etablierten Parteien zu unterstützen und Neuansätze in der Parteienlandschaft zu verhindern. Gerade auch deswegen werden wir als eine vorwärts schauende Partei gebraucht, die eine lebenskräftige Zukunft im Blick hat und dies auch schon im Parteinamen demonstrativ kundtut. Wie oft habe ich mich schon darüber geärgert, wenn ich erst den unverständlichen Parteinamen erklären musste.
Schon im Parteinamen sollte doch die politische Richtung aufleuchten. Wenn man erst erklären muss, dass das Ö nicht für Österreich sondern für ökologisch steht, werden Chancen vertan. Wenn es in der Ökologie letztlich um den Erhalt unseres Lebenshauses geht, müsste der Parteinamen in Richtung „Aktion Leben“ oder „Aktion Zukunft“ gehen. Warum nicht: „Aktion Zukunft-ödp“? Was derzeit von etablierten Parteien ausgeht, ist doch meist kurzsichtig, höchstens dunkelgrün und primär auf Besitzstandswahrung aus. Noch immer ist das Verhältnis zwischen Jung und Alt unausgeglichen und unsere Regierung will dabei nur eine Kindergrundsicherung. Warum engagiert man sich nicht für eine Willkommenskultur für Kinder, um so auch langfristig die Rentenprobleme wie den Fachkräftemangel besser zu lösen?
Wo bleibt ein ÖDP-Engagement für mehr Frieden in der Welt? Statt in noch mehr Militär zu investieren, sollten wir uns stark machen für Frieden aufbauende Aktivitäten. Zivile Friedensdienste spielen bis jetzt im Gegensatz zum aufgeblähten Militärpersonal nur ein Schattendasein. Positive Revolutionen waren gewaltlos. Friedensaufbau geschieht im Abbau von Feindbildern und vor allem im Aufbau von Lebenschancen in Ländern, die durch Fluchtbewegungen ausbluten. Ärgerlich, wenn solarthermische Kraftwerke in sonnenreichen afrikanischen Ländern weder von etablierten Parteien in Berlin noch in Brüssel gefördert werden, wodurch neue Lebensmöglichkeiten bei uns wie in notleidenden Ländern entstehen könnten. Statt ein Wüstenprojekt wie Desertec neu zu beleben, ist unsere Regierung auf Wärmepumpen fixiert und hat kaum Bedenken, wenn Milliarden für eine überzogene Aufrüstung verpulvert werden, die zusätzlich unser Klima belasten und Feindschaften ausbauen.
Bedenklich, dass derzeit bei Talkshows überwiegend militärnahe Personen das Sagen haben und damit den Krieg wohl auch in die Länge ziehen. Bedenklich, dass in der Regel nur Vertreter/innen aus den etablierten Parteien auf den Bildschirmen erscheinen. Sollten wir deswegen nicht noch aktiver beim Schreiben von Leserbriefen werden? Wenn die ÖkologiePolitik dazu einlädt, sich mehr mit zukunftsweisenden politischen Ideen und Konzepten auseinanderzusetzen, wäre es wünschenswert, dass auch weiterhin Leserbriefe wie bisher abgedruckt werden. Sollte da die ÖDP im Sinne ihrer Grundsätze nicht auch für alle da sein und nicht nur für digitale Main-Streamer?