Das Katharinenkloster in Ägypten liegt mitten in einer lebensfeindlichen Wüste. – Foto: anndriessen/pixabay.com

Gesellschaft & Kultur

„Verantwortung für das Haus der Schöpfung“

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Macht euch die Erde untertan! So lautet im Alten Testament der Auftrag an den Menschen. Hat also die Religion die Umweltzerstörung verursacht? Oder ist die Umweltzerstörung mehr die Folge nachlassender Religiosität? Oder missverstandener? Ein Theologe hat sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigt.

Interview mit Prof. Dr. Markus Vogt

 

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Vogt, ist die Umweltkrise auch die Folge einer spirituellen Krise?

Prof. Dr. Markus Vogt: Ja, die Umweltkrise hat auch eine spirituelle Dimension, sie hat zu tun mit einer verfehlten Haltung zu unseren Mitgeschöpfen und zu uns selbst. Wir sind fixiert auf das Lebensmodell des „Schneller, Höher, Weiter“, das auf Dauer nicht vereinbar ist mit den Grenzen der Natur. Wir hätten weitreichende technische Möglichkeiten und politische Beschlüsse, um die Klimakatastrophe und das Artensterben abzuwenden. Aber wir nutzen sie nicht, weil wir gefangen sind im Lebensmodell der expansiven Zivilisation. Aufgrund des weitgehenden Verlustes der Dimension von Transzendenz wird das Leben zur „letzten Gelegenheit“ und wir fühlen uns unter Druck, durch maximalen Konsum und Erlebnissteigerungen alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Das Ergebnis ist, dass wir uns ständig gehetzt fühlen und echte Resonanzbeziehungen zur Natur sowie zu unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen eher selten werden. Es fehlt uns an einer Spiritualität der Genügsamkeit und der Fähigkeit zum Verzicht.

Die monotheistischen Religionen entstanden alle in der Wüste. Fehlt der westlichen Kultur vielleicht deshalb ein Gespür für Artenvielfalt, Kreisläufe und Gleichgewichte?

Das ist durchaus eine interessante Idee, die man empirisch untersuchen sollte: Gehen polytheistische Gesellschaften schonender mit der Artenvielfalt um? Ich habe allerdings Zweifel, ob das so generell zutrifft. China hat beispielsweise schon im Mittelalter ganz viele Arten aussterben lassen. Es gibt Phasen der christlichen Kultur mit einer unbändigen Freude an der Schönheit und Vielfalt der Natur, die z. B. in der christlichen Kunst einen einmaligen Ausdruck gefunden hat. Das schließt nicht aus, dass wir heute von indigenen Traditionen – z. B. in Lateinamerika, Afrika oder Australien – viel lernen könnten hinsichtlich des Gespürs für Artenvielfalt, Kreisläufe und Gleichgewichte. Entscheidend ist es, dieses Gespür als integralen Bestandteil eines „guten Lebens“ zu verstehen.

Hat der Auftrag „Macht euch die Erde untertan!“ zur Ausbeutung und Zerstörung unseres Planeten beigetragen? Oder diese sogar maßgeblich verursacht?

Im biblischen Urtext ist der Auftrag „Macht euch die Erde untertan!“ ein Verantwortungsauftrag: Er steht im Kontext der Gottebenbildlichkeit des Menschen und besagt folglich, dass der Mensch so wie Gott ein guter, wohlwollender Herrscher über die Natur sein soll. Allerdings ist der Vers bereits in der Antike – z. B. beim Kirchenvater Hieronymus – imperial im Sinne einer Unterwerfungsmentalität interpretiert worden. Insbesondere in der Neuzeit wurde er als Legitimation für die Ausbeutung der Natur als bloßes Warenlager für menschliche Zwecke missbraucht. Wirkungsgeschichtlich wurde der biblische Herrschaftsauftrag so zu einer kulturgeschichtlichen Wurzel der modernen Naturzerstörung.

Wie begründet die heutige Theologie den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren?

Der Herrschaftsauftrag wird im ursprünglichen Sinne wiederentdeckt als Auftrag, verantwortungsvoll für das „Haus der Schöpfung“ zu sorgen. So z. B. im Untertitel der Enzyklika Laudato si’: „Sorge für das gemeinsame Haus“. Ein wichtiger Topos ist auch die Gemeinwohlpflichtigkeit der Güter der Schöpfung, von der bereits Thomas von Aquin vor 700 Jahren gesprochen hat und der heute z. B. auf das Klima oder die Biodiversität angewendet wird. Diese sind Kollektivgüter, die genutzt, aber nicht zerstört werden dürfen und hinsichtlich derer alle Menschen, einschließlich der kommenden Generationen, einen Rechtsanspruch auf gerechte Teilhabe haben.

Welche psychologische bzw. existenzielle Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung?

Als Schöpfung verweist die Natur auf den Schöpfer, sie ist nicht selbst unendlich, sondern hat Anfang und Ende, hat einen Ursprung, dem sie sich verdankt, und eine Zukunft, in der alle Ereignisse geborgen sind. Möglicherweise war das Bedürfnis der Dankbarkeit für die unglaubliche Schönheit und Fülle der Gaben der Schöpfung einschließlich unseres eigenen Lebens ein Ursprung für die Entstehung des Gottesglaubens: Es gibt das psychologische Bedürfnis nach einem Adressaten für das tiefe Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es die Welt gibt. Ich glaube, dass jeder Mensch, ob gläubig oder nicht, dieses Gefühl der Dankbarkeit nachempfinden kann. Im Glauben verbindet sich dieses Gefühl mit dem Lob des Schöpfers sowie mit der Achtung der Unverfügbarkeit der grundlegenden Güter und Strukturen der Schöpfung, für deren Erhalt wir gegenüber dem Schöpfer verantwortlich sind.

Lässt sich eine Ethik der Nachhaltigkeit und eine Kultur der Verantwortung auch ohne Religion begründen? Oder macht die Religion den entscheidenden Unterschied?

Vor der 2015 veröffentlichten Enzyklika Laudato si’ kam der Begriff der Nachhaltigkeit kein einziges Mal auf der Ebene der päpstlichen Lehrverkündigung vor. Die Kirche befindet sich hier also in einem verspäteten und nachholenden Lernprozess. Das schließt nicht aus, dass der christliche Glaube Wesentliches zur Entstehung des Konzeptes der Nachhaltigkeit beigetragen hat: Für Carl von Carlowitz, der den Begriff der Nachhaltigkeit 1713 „erfunden“ hat, war der Gottesglaube eine unverzichtbare Dimension: Nachhaltigkeit ist für ihn kein statisches Modell, sondern zielt darauf, die schaffende, göttliche Kraft der Natur zu fördern. Der Weltrat der Kirchen hat 1974 als erste globale Institution ein Programm für Nachhaltigkeit aufgelegt. Das Zusammendenken von Gerechtigkeit, Umweltschutz und Frieden, das die Dokumente der UN-Konferenz von Rio de Janeiro, die als Durchbruch der Nachhaltigkeitspolitik gelten, prägt, wurde bis in viele wörtliche Übereinstimmungen hinein in den 1980er-Jahren in den Texten des Konziliaren Prozesses der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung vorformuliert. Das Denken in Beziehungszusammenhängen und das Konzept einer ganzheitlichen Entwicklung, die die christliche Theologie und die katholischen Soziallehre prägen, sind wichtige Impulsgeber für Nachhaltigkeit. Aber die Kirchen müssen lernen, ihre ethischen und spirituellen Impulse noch stärker in die Sprache und die Entscheidungsprobleme von Politik und Wirtschaft zu übersetzen. Wichtig ist die Theologie im Kontext des Konzeptes der Nachhaltigkeit aus meiner Sicht vor allem als Bewusstsein der Transzendenz und des Unverfügbaren. Ohne dieses Bewusstsein wird der umfassende und bisweilen sogar sinnstiftende Anspruch der Nachhaltigkeit zu einer totalitären Ideologie.

Was ist die Aufgabe der Kirchen für eine ökologische Wende?

Die Aufgabe der Kirchen in der ökologischen Krise ist es, Quelle der Hoffnung zu sein angesichts der Verzweiflung und Resignation, die sich gerade bei der jungen Generation – Stichwort „Last Generation“ – breitmacht. Diese Hoffnung ist jedoch nicht glaubwürdig und nicht hilfreich, wenn sie lediglich auf einer Verdrängung der Fakten und Prognosen beruht. Sie muss eine Hoffnung jenseits von Fortschrittsoptimismus sein, eine „durchkreuzte Hoffnung“, die auch um die Abgründe des Lebens und die Dimension des Scheiterns und der Machtkonflikte weiß, aber auch darum, dass Gott in einer scheinbar ausweglosen Situation einen neuen Anfang schenken kann. Sie ist eine Hoffnung auf Gott, die ihn nicht als Legitimation für eigene Untätigkeit missbraucht, sondern als Ermutigung für eine Umkehr zum Leben. Es ist Aufgabe der Kirche, „Leaderships für eine kulturelle Revolution“ hinsichtlich unserer Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung auszubilden – so Papst Franziskus. Die Kirchen sind dann hilfreich, wenn sie die kulturelle Tiefendimension der nötigen ökosozialen Transformation zum Thema machen.

Herr Prof. Vogt, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Markus Vogt
Christliche Umweltethik
Grundlagen und zentrale Herausforderungen
Herder, Februar 2021
748 Seiten, 48.00 Euro
978-3-451-39110-1

Markus Vogt
Ethik des Wissens
Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft in Zeiten des Klimawandels
oekom, Oktober 2019
100 Seiten, 12.00 Euro
978-3-96238-163-9

Markus Vogt
Prinzip Nachhaltigkeit
Ein Entwurf aus theologisch-ethischer Perspektive
oekom, Februar 2009
555 Seiten, 34.95 Euro
978-3-86581-091-5


Onlinetipps

Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.)
Vom Wert der Vielfalt
Biodiversität als Bewährungsprobe der Schöpfungsverantwortung
Arbeitshilfen, Nr. 323, April 2021
www.t1p.de/y2gsd

Papst Franziskus
Laudato si’
Enzyklika, Mai 2015
www.t1p.de/opbfk

Papst Franziskus
Evangelii Gaudium
Apostolisches Schreiben, November 2013
www.t1p.de/zwb8o