Zehntausende klimabewusste Bauherren verließen sich auf staatliche Förderungen. – Foto: Thommy Weiss/pixelio.de

Bauen & Verkehr

Falsche Prioritäten

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Den Heizwärmebedarf zu senken, ist bei der Energie- und CO2-Wende von zentraler Bedeutung. Denn die Erzeugung von Heizwärme hat beim Energieverbrauch der privaten Haushalte einen Anteil von über 70%, beim gesamten deutschen Energieverbrauch einen von über 25%. Doch die neue Bundesregierung zeigt sich dieser Aufgabe nicht gewachsen und erzeugt hier vornehmlich Chaos und Unmut.

von Günther Hartmann

 

Seit Jahren mahnen Experten, dass die Energie- und CO2-Einsparpotenziale beim Bauen und Modernisieren sehr groß und bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Dabei muss hier überhaupt nichts Neues erfunden werden. Es würde genügen, die schon lange vorhandenen bautechnischen Lösungen endlich konsequent umzusetzen. Doch seit Jahren verteidigte die jeweilige Bundesregierung lasche energetische Mindeststandards mit der Begründung, sie halte „Zwangsmaßnahmen“ nicht für zielführend und setze stattdessen auf Freiwilligkeit und attraktive Förderprogramme. Motto: je besser die Energieeffizienz, desto höher die Förderung. Als sie dann Anfang 2021 das bisherige Förder-Wirrwarr durch die „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG) ersetzte, begann dieses Konzept tatsächlich zu greifen und Wirkung zu erzeugen. Die Zahl der energieeffizienten Neubauten und Modernisierungen stieg deutlich an.

Brüskierung Nr. 1

Doch dann gab es völlig überraschend am 24. Januar 2022 einen Antragsstopp für fast alle Förderprogramme. Ursache war, dass die alte Bundesregierung im November 2021 beschlossen hatte, im Neubaubereich die Förderprogramme für den sogenannten „Effizienzhaus 55“-Standard zum 31. Januar 2022 einzustellen und danach nur noch den anspruchsvolleren „Effizienzhaus 40“-Standard zu fördern. Das hatte natürlich dazu geführt, dass viele Planungen beschleunigt und vorgezogen wurden, um noch in den Genuss der „Effizienzhaus 55“-Förderung zu kommen. Die vom zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz scheinbar nicht vorhergesehene „Antragsflut“ im Januar führte dazu, dass die vorgesehenen Finanzmittel bereits eine Woche vor dem angekündigten Ende aufgebraucht waren. Woraufhin das Ministerium „die Notbremse zog“. Damit stieß es alle Bauherren, die seinen Zusagen vertraut hatten, vor den Kopf. Wer auf die zugesagte Antragsfrist verlassen hatte, ging leer aus. Wie es weitergehen würde, blieb lange unklar.

Ab 22. Februar konnten dann zwar für energetische Modernisierungen zum Effizienzhaus wieder die üblichen Anträge gestellt werden, doch für Neubauten dauerte dies bis zum 20. April. Um das Förderprogramm unattraktiver zu machen, wurden die Fördersätze halbiert und das Budget auf 1,0 Mrd. Euro begrenzt. Das war bereits einige Wochen vorher mitgeteilt worden, damit noch Zeit war, die Bauvorhaben vom abgeschafften „Effizienzhaus 55“-Standard auf den „Effizienzhaus 40“-Standard umzuplanen.

Brüskierung Nr. 2

Dann kam der große Tag – und bereits nach wenigen Stunden war auf der Website der staatlichen Förderbank KfW zu lesen: „Bitte stellen Sie keinen neuen Antrag mehr!“ Das Geld war schon nach wenigen Stunden aufgebraucht. Scheinbar hatte das Ministerium gehofft, dass die meisten Bauherren auf ein Umplanen ihrer Bauvorhaben und auf die versprochenen Fördermittel verzichten würden. Das hatten die meisten aber nicht getan – und wurden nun zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten bitter enttäuscht. Die teure Umplanung auf einen teureren Standard hatten sie trotz reduzierter Fördersätze akzeptiert. Viele hatten wohl Gefallen an der Idee eines energieeffizienten Hauses gefunden und wollten nun unbedingt eines. Und dann das. Wer um einige Stunden zu spät kam, ging wieder leer aus. Wer soll bei so viel politischer Willkür und Unfähigkeit künftig noch Vertrauen in Zusagen der Bundesregierung haben?

Zwar gab es sofort einen Plan B: den Förderstandard „Effizienzhaus 40 NH“. Das „NH“ steht für „Nachhaltigkeit“ und bedeutet, dass das Bauvorhaben eine entsprechende Zertifizierung haben muss. Doch so eine Zertifizierung ist sehr kompliziert, aufwendig und teuer. Und es gibt auch nur wenige Fachleute, die sie beherrschen und vornehmen können. Deshalb dürfte es künftig so gut wie keine Förderanträge für Neubauten geben. Und fast alle Neubauten werden dann nur nach den laschen energetischen Mindeststandards errichtet. Ist das gewollt? Ist Geld zu sparen, der neuen Bundesregierung wichtiger als die Energie- und CO2-Wende?

Brüskierung Nr. 3

Die Wahrheit scheint eher zu sein: Geld wird lieber für andere Dinge ausgegeben. So wurde der Bundeswehr kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro versprochen. Einfach so, ohne groß darüber nachzudenken. Obwohl der Militär-Etat der NATO bereits heute 18-mal (achtzehnmal!) höher ist als der Russlands. Und obwohl der bisherige Kriegsverlauf ja bei nüchterner Betrachtung deutlich zeigt, dass die Schlagkraft der russischen Streitkräfte völlig überschätzt wurde – wohl auch von der russischen Regierung selbst: Die Waffen sind veraltet und die Motivation der Soldaten ist gering.

Russland stellt für die NATO keine Gefahr dar, denn ein Angreifer muss seinem Gegner immer deutlich überlegen sein, sonst hat er keine Chance. Trotzdem soll die Bundeswehr 100 Mrd. Euro erhalten. Während bei der Energie- und CO2-Wende geknausert und mit der Gutgläubigkeit zehntausender Bauherren ein übles Spiel getrieben wird. Hier sind die Prioritäten eindeutig falsch gesetzt.

 


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