Unsere innere Haltung prägt unser Denken und Handeln. Nachhaltigkeit braucht eine achtsame und damit ethische Grundhaltung. – Foto: Pexels/pixabay.com

Gesellschaft & Kultur

„Ehrfurcht ist die Grundlage ökologisch-ethischen Verhaltens“

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Die innere Haltung eines Menschen bedingt sein Denken und sein Handeln. Zur Bewältigung der ökologischen Krise braucht es deshalb wohl mehr als umweltpolitische Leitplanken und Anreizsysteme. Auch der innere „Kompass“ muss stimmen. Um den richtig „einzunorden“, ist die Beschäftigung mit Adalbert Stifter, Albert Schweitzer und Martin Buber hilfreich, sagt eine deutsche Philosophin.

Interview mit Dr. Eva-Maria Heinze

 

ÖkologiePolitik: Frau Dr. Heinze, Sie haben ein Buch über Adalbert Stifter, Albert Schweitzer und Martin Buber geschrieben. Warum gerade über diese drei?

Dr. Eva-Maria Heinze: Ein Buch über einen Schriftsteller und zwei Philosophen – das klingt zunächst ungewöhnlich. Ich habe mich in meiner Studienabschlussarbeit intensiv mit dem Schriftsteller Adalbert Stifter aus philosophischer Perspektive beschäftigt. Dabei fiel mir die deutliche Parallele zu Albert Schweitzers Ehrfurchtsethik auf – trotz der auf den ersten Blick unterschiedlichen Ausrichtungen und Lebensdaten der beiden. Den Dialog- und Religionsphilosophen Martin Buber, ein Zeitgenosse Schweitzers, habe ich in meinem Buch zur Dialogischen Philosophie behandelt. So ergab sich die Trias Schweitzer–Buber–Stifter im Sinne einer inhaltlichen Steigerung: Während die beiden Philosophen die Theorie liefern, bildet Stifters Roman „Der Nachsommer“ quasi deren praktische Umsetzung.

Was können wir von den dreien für die Bewältigung der ökologischen Krise lernen?

Prinzipiell geht es um das Thema eines achtsamen Umgangs mit Lebewesen und Dingen: Schweitzer fordert Ehrfurcht vor allem, was lebt, also vor jedem einzelnen Lebewesen. Dies möchte ich als Grundlage eines ökologisch-ethischen Verhaltens überhaupt bezeichnen. Er schließt Pflanzen und Bäume natürlich mit ein. Ich erwähne das explizit, da mich eine ältere Dame einmal ungläubig fragte, ob ich tatsächlich meine, auch Pflanzen und Bäume seien Lebewesen. Buber geht über Schweitzer nun insofern hinaus, als er einen achtsamen Umgang auch mit Unbelebtem anmahnt. Und zwar nicht nur mit Unbelebtem der Natur, wie etwa Felsen oder Kristallen, sondern ebenso gegenüber Gegenständen im Allgemeinen. Diesen Gedanken kann man bis hin zum Umgang mit Ressourcen aller Art erweitern. Die Quintessenz ist aber letztlich bei allen drei Autoren die gleiche: Entscheidend ist die richtige innere Haltung des Menschen, die alles Denken und Handeln bedingt – im Sinne einer generell achtsamen und damit ethischen Grundhaltung.

Wie lässt sich die von den dreien beschriebene Daseinshaltung und Lebenspraxis von der persönlichen auf eine gesellschaftliche und politische Ebene transformieren?

Ich denke, diese Frage lässt sich mit der Analogie des Verhaltens im Mikrokosmos und jenem im Makrokosmos beantworten: Wie der Einzelne im Kleinen, innerhalb seines persönlichen Mikrokosmos, agiert, so wird er es auch im Großen tun, also auf gesellschaftlicher und politischer Ebene. Das heißt: Der Anfang muss im privaten Umfeld gemacht werden – nur wenn ich mich hier adäquat verhalte, meine Handlungen reflektiere und bewusst ethisch ausrichte und gestalte, werde ich mich sinnvoll auf gesellschaftlicher und politischer Ebene einbringen können. „Unterm Herd unsres Hauses ist unser Schatz vergraben, den es zu bergen gilt“, lautet eine Weisheit des Chassidismus, einer lebensnahen Frömmigkeitsbewegung des Judentums. Gemäß ihr erteilt Buber den klugen Rat, nicht irgendwo – sei es in der physischen oder geistigen Sphäre – das Heil bzw. das zu suchen, was uns fehlt, sondern zunächst das Naheliegendste zu betrachten: den eigenen Alltag in dem jeweils individuellen und damit einzigartigen Lebensbereich. Das deckt sich mit Schweitzers Forderung, in unserem unmittelbaren Lebensumfeld ethisch tätig zu werden, im eigenen Haus, in der Wohnung, im Garten. Jedes Lebewesen, das in meinen Lebensbereich tritt, gilt es ehrfürchtig und keineswegs achtlos zu behandeln. Dies wird in Stifters Roman detailliert veranschaulicht.

In Stifters und Schweitzers Ehrfurchtsethik geht es um jedes Lebewesen, in der Ökologie dagegen um Kreisläufe und Gleichgewichte. Wie passt das zusammen?

Wenn ich nicht in der Lage bin, jedem einzelnen Lebewesen um seiner selbst willen Respekt zu zollen und ehrfürchtig zu begegnen, werde ich auch nicht verstehen können, wie die einzelnen Lebensformen in der Natur verknüpft sind und einander bedingen. Es geht um die Erkenntnis, dass jedes Lebewesen auf seine und damit jede Lebensform oder Gattung auf ihre Weise wichtig ist zum Funktionieren des Ganzen. Fällt eines aus bzw. wird es durch achtlosen und egoistischen Umgang vernichtet, so ist das Gleichgewicht des Ökosystems zerstört oder gerät zumindest in Gefahr. Was Schweitzer fordert und Stifter quasi durch die Protagonisten in seinem Roman lebt bzw. vorleben lässt, ist also die Voraussetzung dafür, Ökologie zu verstehen und zu praktizieren.

Buber zitierte auch gerne das chassidische Lebensmotto „Vergesst euch und habt die Welt im Sinn“. Was ist mit „die Welt“ gemeint? Ist das nicht sehr diffus und missverständlich?

In der Tat ist der Begriff „Welt“ sehr allgemein, die damit verbundene Forderung an jeden Einzelnen von uns dagegen durchaus konkret und unmissverständlich: Der Mensch soll sich nicht egozentrisch um sich selbst und seine Belange drehen, sondern vielmehr seine Aufmerksamkeit nach außen richten: auf das, was „die Welt“ im Sinne der ihn in seinem Lebensbereich umgebenden Lebewesen und Dinge von ihm fordert. Ich denke, das ist der essenzielle Leitgedanke und die Grundlage für die Bewältigung der aktuellen ökologischen Krise.

Frau Dr. Heinze, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipp

Eva-Maria Heinze
Schönheit des Alltäglichen
Zur Ethik des täglichen Umgangs bei Albert
Schweitzer, Martin Buber und Adalbert Stifter
Karl Alber, November 2016
416 Seiten, 54.99 Euro
978-3-495-48790-7