In seiner Münchener Niederlassung am Lenbachplatz 1 erscheint außen der Name „BlackRock“ nur als dezente Gravur auf dem Briefkasten. Das entspricht der Unternehmensphilosophie: unbemerkt vom Licht der Öffentlichkeit im Hintergrund zu agieren. – Foto: Günther Hartmann

Wirtschaft & Soziales

„BlackRock: der größte Mitorganisator von globaler Steuerflucht“

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Der bremsende Einfluss „der Wirtschaft“ bei der ökologisch-sozialen Transformation wird oft kritisiert. Die konkreten Beeinflusser bleiben aber weitgehend unsichtbar. Der vielleicht bedeutendste unter ihnen ist der US-amerikanische Finanzkonzern BlackRock. Welche Rolle spielt er? Wie groß ist seine Macht? Was will er?

Interview mit Dr. Werner Rügemer

 

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Rügemer, im September 2020 fand in Berlin ein zweitägiges „Tribunal gegen BlackRock“ statt. Warum?

Dr. Werner Rügemer: BlackRock hat sich in den letzten 10 Jahren zum weltgrößten Kapitalorganisator entwickelt, ist Miteigentümer von 18.000 Banken, Unternehmen und Finanzdienstleistern, berät die wichtigsten Zentralbanken und auch die EU-Kommission. Gleichzeitig ist BlackRock der breiten Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Die Regierungen erwähnen es nie. Erstaunlich, oder? Deshalb haben Prof. Peter Grottian und ich mit einem kleinen Team beschlossen, BlackRock nicht nur an den Pranger zu stellen, sondern die Öffentlichkeit überhaupt einmal über seine Präsenz, seine Praktiken und seinen Einfluss zu informieren. Ein Dutzend Sachverständige legten die Rolle von BlackRock in 4 Anklagepunkten offen:
(1) Beeinflussung von Finanzinstitutionen, Regierungen und der EU-Kommission durch ein Netz hochbezahlter Einflussagenten
(2) Miteigentum an den 5 größten Wohnungskonzernen in Deutschland – verbunden mit Mietsteigerungen, überhöhten Nebenkosten und prekären Arbeitsverhältnissen in der Verwaltung
(3) Miteigentum an den wichtigsten Kohle-, Öl-, Auto- und Agrobusinesskonzernen
(4) Miteigentum an den größten Rüstungskonzernen
Aus Zeitgründen mussten wir weitere Anklagepunkte leider ausklammern.

Welche Rolle spielte BlackRock beim Wirecard-Skandal?

Öffentlich war BlackRock dabei nicht existent. Weder die Leitmedien wie FAZ, Zeit, SZ , Welt, Bild, ARD, ZDF, RTL und n-tv noch die ach so heftigen Ankläger der FDP und Linken im Bundestag erwähnten es. Dabei war BlackRock beim milliardenschweren Betrugssystem von zentraler Bedeutung: Es war bis kurz vor dem Ausbruch des Skandals zweitgrößter Aktionär bei Wirecard – nach der Wall-Street-Bank Goldman Sachs. Und wiederum Großaktionär bei anderen Wirecard-Großaktionären wie Goldman Sachs. Zudem bei den wichtigsten Kreditgebern von Wirecard. Und bei der US-Ratingagentur Moody’s, die die Kreditfähigkeit und Kreditkonditionen für Wirecard festlegte. Gerade das ständige Auf und Ab der Wirecard-Aktie ist das originäre, von BlackRock am weitesten ausgebaute Geschäftsfeld: Gewinne durch Spekulation auf die Aktienentwicklung. BlackRock erhielt als Miteigentümer Insider-Informationen vom Wirecard-Vorstand, von der Ratingagentur, von den Kreditgebern und von den anderen Wirecard-Aktionären. Es verkaufte und kaufte ständig Wirecard-Aktien, um das jeweilige Auf und Ab zu verstärken – und zu nutzen. Und zwar mithilfe der größten Finanz- und Wirtschaftsdaten-Verwertungsanlage der westlichen Welt: „Aladdin“. „Aladdin“ erfasst und verwertet im Nano-Sekundenbereich die Aktien- und Wertpapierentwicklung aller an Börsen notierten Banken, Unternehmen und Finanzdienstleister – und auch der Staatsanleihen. BlackRock ist kenntnisreicher und schneller als alle anderen Akteure in der Finanzbranche.

Welche Rolle spielte BlackRock bei der Finanzkrise 2008?

Der Gründer und Chef von BlackRock, Lawrence Fink, gilt als Erfinder des Finanzprodukts, das die Finanzkrise verursachte: Spekulation mit Immobilienkrediten. Zehntausende individuelle Kredite von Häuslebauern und Wohnungskäufern wurden gekauft, zu „Wertpapieren“ gemacht, bekamen von den US-Ratingagenturen gute Noten und wurden an Anleger verkauft. Als Millionen individuelle Kreditnehmer nicht mehr zahlen konnten, stürzte ihr Wert ab. Fast alle großen Banken waren plötzlich überschuldet und wurden mit Steuergeldern gerettet. Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama setzte BlackRock als Berater für die Rettung der Banken und Versicherungen ein – weil es sich ja am besten mit dem Betrugsprodukt auskannte. Es verdiente damit viel Geld und seine Insider-Position wurde auf ein neues Niveau gehoben. Die EU folgte dem und machte BlackRock zum Berater der Europäischen Zentralbank (EZB). Dadurch konnte es andere Banken oder Abteilungen von Banken aufkaufen, gewann neue Kapitalgeber und machte 2008 den großen Sprung in die EU. Heute ist BlackRock der größte Eigentümer von Banken und Unternehmen – in den USA, in den wichtigsten EU-Staaten und auch in der Schweiz. In Deutschland ist BlackRock Miteigentümer aller 30 DAX-Konzerne und von mehreren Hundert weiteren Aktiengesellschaften.

Wie nimmt BlackRock Einfluss auf die Politik?

Der Einfluss erfolgt auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig: als Miteigentümer der wichtigsten Unternehmenskonzerne, als Berater der wichtigsten Zentralbanken, mit „Aladdin“ und mithilfe eines weltweiten Netzes an Einflussagenten in allen wichtigen Staaten. In Deutschland war dies jahrelang Friedrich Merz. Er war bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der BlackRock Deutschland AG. 2020 wurde er wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit, die seine Bewerbung um den CDU-Vorsitz hervorrief, durch den öffentlich unbekannten Michael Rüdiger abgelöst. Der ist aber auch ein wichtiger Banker: Ex-Chef der Sparkassen-Finanzgruppe Deka Investments und vorher Investmentbanker bei Schweizer Großbanken. Als BlackRock-Lobbyist begleitete Merz Blackrock-Vertreter wie Lawrence Fink bei Treffen mit deutschen Ministern: z. B. mit den Finanzministern Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz und mit Außenminister Sigmar Gabriel. BlackRock baut seine Niederlassungen in den wichtigen Staaten immer weiter aus. Seine Deutschland-Zentrale in Frankfurt wird durch Ex-Manager der Deutschen Bank geführt. Und Jürgen Fitschen, Ex-Chef der Deutschen Bank, wurde Aufsichtsratsvorsitzender von Vonovia, dem mit 450.000 Mietwohnungen größten Wohnungskonzern in Deutschland und BlackRock als Großaktionär. In Großbritannien ist Ex-Finanzminister George Osborne der oberste BlackRock-Lobbyist, in der Schweiz Philipp Hildebrand, Ex-Chef der Schweizer Zentralbank.

In welche Richtung beeinflusst BlackRock die Wirtschaftspolitik?

BlackRock schafft Tatsachen – vor jedem direkten Einfluss auf Regierungen und Parlamente: durch die Umgestaltung der Banken und Unternehmen, in denen es Miteigentümer ist, und durch Absprachen mit ähnlich agierenden Kapitalorganisatoren. Es werden Fusionen organisiert wie bei Bayer und Monsanto, wo BlackRock gleichzeitig in beiden Konzernen Großaktionär war und ist. Dabei werden Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut, Monopole geschaffen und Preise erhöht. Als zweitgrößter Miteigentümer von Rüstungskonzernen profitiert BlackRock von neuen Feindbildern, lang andauernden, ergebnislosen Kriegen, neuen Kriegen und Aufrüstung. Als größter gleichzeitiger Miteigentümer von Amazon, Apple, Google, Microsoft und Facebook ist BlackRock an der Digitalisierung der Arbeitsplätze, des Gesundheitswesens, des Handels, der Börsen, der Kriegsführung, der Eroberung des Weltraums beteiligt – und dafür werden vorher nicht unbedingt die Regierungen um Erlaubnis gebeten. Vor allem ist BlackRock auch der größte Mitorganisator von globaler Steuerflucht: Es anonymisiert seine superreichen Kapitalgeber und lässt Hunderttausende Briefkastenfirmen in den wichtigsten Finanzoasen einrichten. So entgehen den Staaten jährlich Milliarden an Steuergeldern, wodurch sie verarmen, sich verschulden und ihre Leistungen kürzen, privatisieren oder verteuern müssen.

Wie profitiert BlackRock von den staatlichen Corona-Hilfen?

BlackRock profitiert mehrfach: Es berät die EZB beim Kauf der Anleihen, der für die Kredite beim 750 Mrd. Euro schweren Corona-Wiederaufbauprogramm der EU notwendig wird. Es ist Großaktionär von Digitalkonzernen, die große Staatsaufträge zur Digitalisierung der Schulen, der Hochschulen und des Gesundheitswesens erhalten. Es ist Großaktionär von Pharmakonzernen, bei denen die EU – ohne Haftungsauflagen! – viele Millionen teure Impfdosen bestellt hat. In Deutschland ist BlackRock drittgrößter Aktionär der Lufthansa – nach Multimilliardär Heinz-Hermann Thiele und der Wall-Street-Bank Morgan Stanley, an der BlackRock wiederum beteiligt ist. Bevor die Bundesregierung die Lufthansa mit 9 Mrd. Euro Steuergeldern rettete, bot deren Aktienabsturz für BlackRock ein gewinnträchtiges Geschäft, denn es dürfte weit vor den Kleinaktionären von der staatlichen Rettungsabsicht gewusst haben.

Wie kam BlackRock bislang durch die Corona-Krise?

Glänzend! Durch die Aktienwert-Steigerungen bei den Digital- und Pharmakonzernen. Und durch den allgemeinen Anstieg der Aktien-Gesamtwerte nach den anfänglichen Einbrüchen. BlackRock ist auch der größte Verkäufer des neuen Finanzprodukts „Exchange Traded Funds“ (ETF) – die als „Volksaktie“ beworben wird. Der „Indexfonds“ ist an allen 30 DAX-Unternehmen gleichzeitig beteiligt und in winzige Stücke aufgeteilt, sodass sich prekär Beschäftigte mit ein paar Hundert Euro welche kaufen können, um ihre erwartbar niedrige staatliche Rente aufzubessern. Die Gebühren dafür sind weitaus niedriger als bei der Riester-Rente, denn die Verwaltung erfolgt robotisiert. Aber da diejenigen, die am wenigsten verdienen und die niedrigsten Renten erwarten, auch am wenigsten Geld übrighaben, wurde die „Volksaktie“ dann doch zum Gegenstand der Großspekulation.

Was ist von BlackRocks aktuellen Slogans wie „Wir machen Nachhaltigkeit zum Standard“ zu halten?

BlackRock hat die Bedeutung der weltweiten Bewegungen zur Rettung der Umwelt erkannt. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde Lawrence Fink zum Sprecher der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforderungen. Doch BlackRock steigt nicht aus der fossilen Industrie aus, sondern ergänzt seine bisherigen Aktivitäten um neue Umweltfonds, die im Gesamtvolumen jedoch nur wenige Prozentchen ausmachen. Damit bedient es den kaufkräftigen Teil der Umweltbewegung. Und die postulierte „Nachhaltigkeit“ gilt nicht für die sozialen Verhältnisse: Mit Amazon & Co. kämpft BlackRock gegen Gewerkschaften und auskömmliche Tarifverträge, fördert Teilzeit-, Leih- und Saisonarbeit, fördert mit der Digitalisierung die Aufteilung abhängiger Arbeit in immer kleinere Portionen. Die Sozial- und Arbeitsrechte der UNO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gelten für BlackRock nicht. Weltwirtschaftsforum und BlackRock unterstützen nicht den UNO-Beschluss für die sanktionsbewehrte Einhaltung der Menschenrechte in den internationalen Produktions- und Dienstleistungsketten. BlackRock fördert durch seine Praktiken die wachsende soziale Ungleichheit – vor allem auch durch seine systemische Beihilfe zur globalen Steuerflucht der Superreichen. Die eigenen Kunden werden immer reicher, die Mehrheit der abhängig Beschäftigten und Rentner wird immer ärmer. Die Superreichen werden anonymisiert und von Steuern und jeglicher sozialer Verantwortung befreit, die breite Bevölkerungsmehrheit muss in der Folge immer mehr direkte und indirekte Steuern zahlen.

Ist BlackRock auf Wirtschaftswachstum angewiesen?

Nein, BlackRock ist überhaupt nicht auf allgemeines Wirtschaftswachstum angewiesen – im Gegenteil. Einen Großteil seiner Gewinne schöpft es aus der Schrumpfung der Volkswirtschaften, in denen es Eigentum an Unternehmen erwirbt: indem es Arbeitsplätze abbaut, an Billigfirmen auslagert oder mit billigen Wanderarbeitern besetzt. BlackRock trägt dazu bei, dass die Volkswirtschaften in den USA, Deutschland und alten EU-Staaten wie Frankreich, Belgien, Niederlande und Italien schrumpfen. Und dass sie auch in neuen EU-Mitgliedsstaaten wie Polen, Ungarn, Rumänien, Estland, Litauen und Lettland schrumpfen. Etwa ein Viertel der Bevölkerung ist dort ausgewandert, vor allem Jüngere. Neben subventioniert hochgezogenen Filialen von Amazon, BMW, Continental, Ford, BASF, Toyota breitet sich Armut aus, ganze Landschaften veröden. BlackRock ist nicht auf volkswirtschaftliches Wachstum angewiesen, sondern schöpft Gewinne aus der Verwertung vorhandener wirtschaftlicher Substanz, aus dem organisierten Rückgang von Wachstum, aus der Verarmung ganzer Branchen, Regionen und Staaten. Gleichzeitig fördert es das Wachstum von Digital-, Pharma- und Rüstungskonzernen. Es will nicht den „Wohlstand der Nationen“, sondern den Reichtum seiner anonymen Kapitalgeber mehren.

Wie könnte man den Einfluss von BlackRock & Co. auf ein verträgliches Maß einschränken?

Die Vorschläge liegen seit Langem auf dem Tisch: ein zeitgemäßes Kartellgesetz, Schließung der Finanzoasen, Verbot von anonymisierten Briefkastenfirmen, Verbot von Insidergeschäften, Verbot der Finanzierung politischer Parteien durch Unternehmen, den Forderungen der UNO und ILO entsprechende Arbeitsverhältnisse, Mitbestimmung der Beschäftigten, Einhaltung der Menschenrechte in den internationalen Produktions- und Lieferketten, Beendigung der fossilen Industrie, Wohnen als Menschenrecht, notfalls Enteignung privater Wohnungskonzerne, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und nicht zuletzt die Einhaltung des UN-Völkerrechts. Da liegt noch ein langer Weg vor uns.

Herr Dr. Rügemer, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Werner Rügemer
Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts
Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure
PapyRossa, September 2018
357 Seiten, 19.90 Euro
978-3-89438-675-7

Werner Rügemer
Imperium EU
ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr
PapyRossa, November 2020
319 Seiten, 19.90 Euro
978-3-89438-726-6


Onlinetipps

Prof. Dr. Peter Grottian
Tock Tock BlackRock
Materialien zum Tribunal 26./27.09.2020
www.blackrocktribunal.de

Werner Rügemer
Noch mehr BlackRock in der US-Regierung
Telepolis, 17.01.2021
https://heise.de/-5023050

Joachim Wille
BlackRock nur schwachgrün
Klimareporter, 15.01.2021
www.t1p.de/dq2p

Jan Willmroth
Umweltschützer werfen BlackRock Greenwashing vor
Süddeutsche, 13.02.2021
www.sz.de/1.5172295

Christina Deckwirth
Friedrich Merz: Ein Top-Lobbyist als Parteivorstand?
LobbyControl, 11.01.2021
www.t1p.de/k3nj