Der bis 2038 gestreckte Kohleausstieg garantiert eine lange Laufzeit der Kraftwerke und Zahlungen in Höhe von 4 Mrd. Euro. – Foto: Harald Schottner/pixelio.de

Ökolumne

Energie- und CO2-Wende

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In diesem Jahr lag der CO2-Messwert bei 417,2 ppm, 2021 wird er wohl die Grenze von 420 ppm überschreiten. Dass die Klimaerwärmung sich noch auf unter 2 Grad begrenzen lässt, wird von Klimaforschern mit einer Wahrscheinlichkeit auf weniger als 5 % prognostiziert, eine Überschreitung der oberen Grenze von 4,5 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 6–18 %. Fridays for Future hat vom Wuppertal Institut ausrechnen lassen, wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden könnte. Das entspricht dem CO2-Anteil Deutschlands, wenn das zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels noch zur Verfügung stehende CO2-Budget von 580 Mrd. Tonnen weltweit gleich verteilt würde. Unsere CO2-Emissionen müssen dann jedes Jahr um 60–70 Mio. Tonnen zurückgehen. Das sind Größenordnungen, die bislang nur in Wirtschaftskrisen verzeichnet wurden. CO2-Neutralität bis 2035 zu erreichen, wäre extrem anspruchsvoll, aber möglich.

Jedes Jahr müssten neue Wind- und Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von 25.000–30.000 MW installiert werden – 3- bis 4-mal so viel, wie die Bundesregierung anstrebt. Für die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien müsste bis 2035 eine 7- bis 9-mal so hohe Kapazität an Elektrolyseuren bereitstehen, wie es die Bundesregierung plant. Die Verstromung von Kohle müsste bis 2035 vollständig eingestellt werden. 4-mal so viele Gebäude wie derzeit müssten energetisch saniert werden, doch die Bundesregierung will die Quote nur verdoppeln. Der Autoverkehr müsste halbiert, die ÖPNV-Nutzung verdoppelt, ein Drittel des Lkw-Verkehrs auf die Bahn verlagert und Inlandsflüge eingestellt werden. Die Wärme in den Häusern müssten größtenteils Wärmepumpen erzeugen. Die Pro-Kopf-Wohnfläche müsste sinken.

Doch der bis 2038 gestreckte Kohleausstieg gibt den Kohlekraftwerken in Deutschland eine Laufzeitgarantie mit Zahlungen über 4 Mrd. Euro. Die Rechtslücken in den Verträgen bieten den Betreibern zudem die Möglichkeit, Gewinne aus der Braunkohleverstromung ins Konzernvermögen abfließen zu lassen. Die Empfehlungen der Kohlekommission wurden nicht eingehalten. Das Kraftwerk Datteln 4 hätte nicht ans Netz gehen dürfen. Und das Festhalten am Tagebau Garzweiler ist ebenfalls klimapolitisch nicht zu rechtfertigen. Da ab August 2021 neue Grenzwerte für Stickstoffoxid-Emissionen aus der Luftqualitätsrichtlinie der EU gelten, müssen Stein- und Braunkohlekraftwerke aufwendig nachgerüstet werden, sodass sie von den Betreibern sowieso stillgelegt worden wären.

In Bayern, wo der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter von der CSU behindert wird, ist in diesem Jahr kein einziges neues Windrad ans Netz gegangen. Bundesminister Peter Altmeier (CDU) hat so große Mindestabstände für Windkraftanlagen durchgesetzt, dass diese Energieform nun „am Boden liegt“. Solaranlagen werden mit Ausschreibungen verhindert.

Solarthermische Kraftwerke haben das höchste Potenzial, die Herstellungskosten von Wasserstoff drastisch zu senken. Die Wasserstoffstrategie der EU-Kommission sieht jetzt den Einsatz von „blauem“ Wasserstoff aus Erdgas mit CO2-Verpressung (CCS) vor, weil man nicht über genug Ökostrom für „grünen“ Wasserstoff verfügt. Mit erneuerbaren Energien produzierter Wasserstoff verursacht einen CO2-Ausstoß von 26 g/kWh, mit fossilem Erdgas produzierter einen von 398 g/kWh. Die Erdgaslobby von der „Clean Hydrogen Alliance“ hat sich gegenüber der EU-Kommission durchgesetzt. „CCS ist teuer, ineffizient und verlängert nur das Geschäftsmodell der fossilen Energieträger. Erneuerbare sind günstiger“, sagt Caudia Kemfert, Energieökonomin des DIW. CCS kostet bis zu 440 Euro/t CO2.

Das Trittbrettfahrerverhalten der Industriestaaten wird erst dann aufhören, wenn externe Umweltkosten konsequent internalisiert werden und Antidumpingzölle eingeführt werden.