Lobbyismus: Verflechtungen des Bauernverbands
8. August 2020
Wissenschaft und Umweltverbände legen immer wieder konkrete Vorschläge vor, wie die Agrarpolitik so umgestaltet werden kann, dass das Artensterben endlich gestoppt wird. Warum werden diese kaum umgesetzt? Wieso setzten sich bislang immer die Interessen der industriellen Landwirtschaft und des Bauernverbands durch? Und wie hängen die beiden zusammen?
von Dr. Christine Tölle-Nolting
Um die Entscheidungswege und das Beziehungsgeflecht zwischen den Interessengruppen besser zu verstehen, beauftragte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) im Jahr 2019 das Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) der Universität Bremen, die Verbindungen zwischen Agrarpolitik, Agribusiness und Landwirtschaftsverbänden unter die Lupe zu nehmen. Dieses untersuchte mehr als 150 Personen und Institutionen, insbesondere aus Führungspositionen, Aufsichts- und Kontrollgremien in der Finanzwirtschaft, Agrochemie, Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie in Verbänden.
Besonderes Augenmerk richtet die Studie auf den Deutschen Bauernverband (DBV). Dabei zeigen sich vielfältige Verknüpfungen des Bauernverbands mit großen Handelskonzernen wie BayWa oder Agravis, die mit Futtermitteln, Industriedünger, Pestiziden handeln, aber auch mit Unternehmen der Kreditwirtschaft.
Vielfältige Nebeneinkünfte der Spitzenfunktionäre
Es ist kaum vorstellbar, wie der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, ohne Interessenkonflikte fast 90 % der Landwirte vertreten möchte und gleichzeitig Mitglied im Vorstand der BayWa sowie Aufsichtsrat der R+V Versicherungen sein und weitere 16 hochrangige Posten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft bekleiden kann. Es ist schließlich das Geschäft jener Handelsunternehmen, möglichst viele Produktionsmittel möglichst teuer zu verkaufen und gleichzeitig Produkte möglichst billig einzukaufen, um ihren Gewinn zu maximieren.
Ein weiterer zentraler Funktionär ist Johannes Röring. Er ist Mitglied im Deutschen Bundestag, aktiver Landwirt und besetzt 14 Posten. Er war aktiv beteiligt an der Ausgestaltung der Düngeverordnung 2017 und zugleich Vorsitzender im DBV-Fachausschuss für Schweinefleisch. Sein Wahlkreis sowie der familiäre Schweinemastbetrieb liegen in der Tierhaltungshochburg Borken. Nach Untersuchungen von abgeordnetenwatch.de erhielt er aus Nebeneinkünften mindestens 288.000 Euro jährlich: aus der eigenen Firma und seinen Sitzen in Bei- und Aufsichtsräten. Im Sommer 2019 wurde er wegen fehlerhafter und fehlender Angaben zu seinen Nebeneinkünften vom Bundestagspräsidenten gerügt.
Franz-Josef Holzenkamp, seit 2017 Vorsitzender des Deutschen Raiffeisenverbands, war bis 2017 Mitglied im Deutschen Bundestag. Darüber hinaus hat er 8 Posten unter anderem im Versicherungswesen und in der Ernährungswirtschaft inne.
Albert Deß, bis 2019 Mitglied des EU-Agrarausschusses, fiel durch sein naturfeindliches Abstimmungsverhalten in Brüssel auf. Bei der Ausgestaltung der aktuellen GAP-Förderperiode setzte er sich für den Einsatz von Pestiziden auf ökologischen Vorrangflächen ein. Zusätzlich saß er auch im EU-Sonderausschuss für die Genehmigung von Pestiziden. Er ist ebenfalls Mitglied im Beirat der BayWa und Vorstandsmitglied der Molkerei Bayernland.
Reger Austausch mit Chemiekonzernen
Als Austauschplattform zwischen den großen Chemiekonzernen wie BASF und Bayer mit der Spitze des DBV dienen mehrere Knotenpunkte, wie die Verbindungsstelle Landwirtschaft-Industrie (VLI) oder das Forum Moderne Landwirtschaft (FML). Die jungen „AgrarScouts“ des FML haben die Aufgabe, der Öffentlichkeit die „moderne Landwirtschaft“ näherzubringen, z. B. auf der Grünen Woche oder auf Marktplätzen.
Gespräche mit Insidern machen deutlich, dass sich der DBV in Berlin und Brüssel rege mit Agrarpolitikern austauscht. Nicht nachweisen lässt sich ein konkreter Einfluss auf Gesetzestexte. Wie Entscheidungen, etwa zum verfehlten Düngerecht 2017 oder zur Verschiebung des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration bis Ende 2020, zustande kamen, bleibt undurchsichtig. Daher muss dringend ein Lobbyregister eingeführt werden. Damit sollten Treffen zwischen Politikern und Lobbyisten dokumentiert werden, ihr konkreter Einfluss auf Gesetze, ihr „legislativer Fußabdruck“.
Die Verflechtungen des DBV mit Politik und Wirtschaft sind so eng, dass Umwelt und Natur, Tierwohl, Gewässer- und Klimaschutz bei politischen Entscheidungen bisher häufig auf der Strecke blieben. Das muss sich ändern. Zudem vertritt der DBV mit seinem export- und wachstumsorientierten Kurs nicht die Interessen der meisten deutschen Landwirtinnen und Landwirte. Die wünschen sich deutlich mehr Förderung für Tierwohl und Umweltschutz.
Onlinetipp
NABU/iaw
Verflechtungen und Interessen des Deutschen Bauernverbandes (DBV)
April 2019
www.t1p.de/vmou