Wirtschaft & Soziales

Leistung humanisieren, Herrschaft abbauen

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Teil II des Bundespolitischen Programms der ÖDP hebt stark auf das Thema „Leistung“ ab. Es stellt sich die Frage: Wie weit darf das bei einer Partei gehen, die ebenso auf Entschleunigung setzt? Was wir Leistungsgerechtigkeit nennen, muss auch Grenzen haben, denn ansonsten wird aus einem sinnvollen Prinzip ein zerstörerisches Phantom.

Eine der bedeutsamsten ÖDP-Forderungen im Teil II ihres Bundespolitischen Programms ist das Erziehungsgehalt. Würde diese Forderung mit einem Grundeinkommen ausgehebelt? An diesem Punkt lässt sich gleich zu Anfang die wichtige Unterscheidung machen, dass Erwerbsarbeit und Grundeinkommen ganz verschiedene Ebenen sind, die einander weder ersetzen noch ausschließen, sondern ergänzen. Es erscheint in der Tat mit Blick auf viele junge Familien geboten, die häusliche Erziehungsleistung (die ja auch bei Kiga-Kindern immer noch bleibt) auf der Ebene der Erwerbsarbeit zu betrachten und durch ein Erziehungsgehalt zu honorieren. Ebensowenig wie der außerhäusliche Teil der Erziehungsarbeit, andere Pflegearbeiten oder die Entlohnung anderer Leistungen (deren gesellschaftlicher Nutzen oft weit weniger klar ist!) sollte diese einfach auf ein Grundeinkommen abgeschoben werden. Dennoch brauchen wir ein Grundeinkommen – genauer gesagt: ein „Humanökologisches Grundeinkommen“ (HöGE).

Hinzufügung einer neuen Kultur

Ein HöGE ersetzt almosenhafte Transferleistungen, nicht aber die Erwerbsarbeit und ihren Mindestlohn, und auch nicht das Sozialsystem (Ausnahme: Arbeitslosenversicherung). Es ist nicht bloß eine Umgestaltung von Erwerbsarbeit und Sozialsystem, sondern etwas Drittes, das als eine neue Kultur hinzukommen soll. Vor allem im unteren Einkommensbereich muss anstelle der schwer definierbaren Leistungsgerechtigkeit eine Bedarfsgerechtigkeit des „Genug für alle“ treten, die anerkennt, dass das unbedingte Existenzrecht eine Frage der Menschenwürde und nicht der Leistung ist. Unser Hartz-IV-System des „Forderns und Förderns“ ist davon weit entfernt.

Niemand hat ein Anrecht darauf, reich zu sein, aber jeder hat das Recht, nicht arm zu sein! Der herkömmliche Weg, dieses Recht zu sichern, besteht im Wachstumsfetischismus und im Erhalt sinnlos gewordener Arbeitsplätze. Wir wissen, dass dieser Weg nicht nur sein Ziel schlecht erreicht, sondern mittelfristig auch zum ökologischen Selbstmord führt. Das HöGE ist ein besserer Weg und verringert darüber hinaus die Fremdbestimmung und die Herrschaft von Menschen über Menschen, bei der der Zugang zu Geld eine wesentliche Rolle spielt. Schauen wir genauer hin.

Menschenwürde ist kein Verdienst

Kein Kind, das auf die Welt kommt, hat sich sein Leben verdient, und es bringt auch keine Schulden mit, die es der Gesellschaft zurückzahlen müsste: Wir bekommen unser Leben geschenkt, und das bleibt, wenn wir es recht bedenken, Gott sei Dank das ganze Leben hindurch so. „Für jeden werden die besten Früchte von einer Hand gepflückt, die nicht die seine ist“ (C. S. Lewis). Wenn man dafür der Gesellschaft durch sinnvolle Arbeit etwas zurückgibt, so dient es der „Psychohygiene“ des Einzelnen wie der ganzen Gesellschaft, das in erster Linie als Akt der Dankbarkeit und der Solidarität zu sehen und nicht als Leistung, mit der man seine Existenz „rechtfertigen“ muss oder kann, um im Spiel der ökonomischen Zufälle ein existenzsicherndes Einkommen zugebilligt zu bekommen – oder eben nicht.

Wer bestimmt, wann und was einer „verdient“? „Verdient“ ein Lehrer oder Bischof wirklich sein Gehalt, oder der Angestellte im Tierversuchslabor, oder der CEO einer industriellen Großschlachterei? Und warum wird das HöGE oft als „Ruf nach dem Staat“ denunziert, beim Gehalt eines Lehrers aber heißt es, „er sorgt für sich selbst“? Denken wir darüber nach – primär selbstverständlich ist doch nicht, dass jemand „für eine Leistung etwas verdient“, sondern dass das Existenzrecht (und damit der Zugang zum notwendigen Geld) Teil der unveräußerlichen Menschenwürde ist. In den Mosebüchern der Agrargesellschaft Altisraels ist das der Kampf um die „leistungslosen“ Rechte der Witwen und Waisen; genau die gleiche Forderung heißt in heutiger Sprache „das HöGE als Menschenrecht ins Grundgesetz“.

Mit dem HöGE hätten wir ein Instrument, das die an sich ganz natürliche Sichtweise des Zurückgebens statt Verdienens viel leichter zugänglich macht, und, noch einmal, das würde die ganze Gesellschaft umwandeln: „Ich habe diese Leistung erbracht, und dafür habe ich jetzt das Recht …“ – „Entspann dich, das Recht hast du sowieso, weil alle es haben.“

Und sollte es uns stören, wenn jemand wirklich seinen Lebenssinn darin sieht, auf dem HöGE-Kissen sorgenfrei einfach nur zu leben, statt „produktiv“ zu sein (und vielleicht noch sein halbes HöGE spendet, weil er so viel Geld gar nicht braucht), dann erinnern wir uns bitte: Wer von Kapitaleinkünften leben kann, hat die Freiheit, einfach nur zu leben, jetzt schon. Andere, die in zwei Jobs malochen müssen, um über die Runden zu kommen, haben sie nicht. Dies und der leistungslose Anteil, der in einem zigfach überdurchschnittlichen Einkommen steckt, sind akzeptierte Grenzen der Leistungsgerechtigkeit. Das ist die Jahrtausende lang geübte Herrschaft von Menschen über Menschen mithilfe der vom Geld genährten Denkweise, die die Selbstbestimmung für die meisten erstickt. Das HöGE würde helfen, das Geld auf seine dienende Rolle zurückzuführen: Es verwirklicht eine menschlichere Grenze der Leistungsgerechtigkeit.

ÖDP als kulturelle Avantgarde

Sind das nicht alles ÖDP-Kerngedanken? Und wo unsere Programme das noch nicht ausdrücken, müssen wir sie da nicht bereinigen und klären? Es lohnt sich, für die wundervollen Möglichkeiten eines HöGE zu kämpfen. Und das heißt auch, ein Grundeinkommen zu verhindern, welches das Recht, nicht arm zu sein, nicht kennt, und mit dem das geldbasierte Herrschaftssystem schlimmer wird als zuvor: Grundeinkommen zu knapp bemessen, Mindestlohn beerdigt, Sozialversicherung Privatsache. Wir sind wohl die erste Generation, die es in der Hand hat, den kulturellen Entwicklungsschritt HöGE – den vielleicht größten seit Beginn der städtischen Zivilisation – zu vollziehen: Packen wir’s an!


Buchtipp:

Ched Myers, Peter Hiltner
Genug für alle
Vision Sabbat-Ökonomie
Selbstverlag, Juli 2014
120 Seiten, 9.00 Euro
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