
Ein Katalysator für den Wandel
1. September 2025
Das „Netzwerk Rechte der Natur“ wurde 2020 wurde gegründet, um das Thema aus der akademischen Nische herauszuholen und in Zivilgesellschaft, Recht und Politik stärker zu verankern. Es sollte ein dauerhaftes interdisziplinäres Forum entstehen, das Information, Vernetzung und politisches Handeln vereint.
von Christine Ax
In den Jahren 2020 und 2021 erarbeitete das „Netzwerk Rechte der Natur“ eine Grundgesetzinitiative, die die Anerkennung der Rechte und der Würde der Natur vorschlägt und begründet. 2022 wurde die Grundgesetzinitiative erstmals der Öffentlichkeit präsentiert und auf der Online-Plattform www.rechte-der-natur.de inzwischen mehrere Hundert Mal unterzeichnet. Die digitale Präsenz und ein monatlicher Newsletter trugen maßgeblich zur Weiterentwicklung der Bewegung bei.
Aktuell gehören dem Netzwerk über 200 Menschen an – darunter Juristen, Künstler, Umweltaktivisten, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, Wissenschaftler, Studierende und engagierte Bürger. Es ist bewusst niedrigschwellig organisiert und versteht sich als offenes, wachsendes Kollektiv. Die monatlichen Online-Treffen, ein regelmäßiger Newsletter sowie Fachveranstaltungen (u. a. 2023 in Bonn und 2024 in Berlin) bilden das Rückgrat der Zusammenarbeit. Der Verein „Netzwerk Rechte der Natur e. V.“ dient seit 2022 als juristisches Rückgrat.
Kurz-, mittel- und langfristige Ziele
Kurzfristig zielt das Netzwerk darauf ab, die Idee der Eigenrechte der Natur bekannter zu machen, durch Bildungsangebote, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit. Es werden außerdem lokale Pilotprojekte unterstützt – z. B. kommunale Initiativen zu Rechten der Flüsse (Spree, Loisach, Pader).
Mittelfristig soll eine breite gesellschaftliche Debatte darüber angestoßen und vertieft werden, wie sich ein neues Verhältnis zur Natur rechtlich und kulturell gestalten lässt. Mit Impulsen von Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wird ein kultureller Wandel befördert, der die Natur als Rechtssubjekt denkbar macht und politisch einfordert.
Langfristig strebt das Netzwerk eine Verankerung der Rechte der Natur im deutschen Grundgesetz an und fordert eine Ökologisierung des Rechts, den Übergang von einem anthropozentrischen zu einem ökozentrischen Recht (Ecojurisprudence).
Die aktuelle globale Entwicklung zeigt, dass die Anerkennung der Rechte der Natur auf den unterschiedlichsten Wegen erfolgen kann: in Verfassungen, durch Einzelgesetze (z. B. Rechte für einen Fluss), durch Richterrecht oder durch Kommunen, die auf ihrem Gebiet handeln. Die Anerkennung des Mar Menor als Rechtsperson (Spanien Verfassungsgericht) und ein erstes Gerichtsurteil in Deutschland (Erfurt Landgericht), das die Rechte der Natur anerkennt, waren zuletzt ermutigende Meilensteine.
Weltweit waren die Erfolge vor allem zivilgesellschaftlichen Akteurskonstellationen zu verdanken: Wissenschaft, Kultur und NGOs arbeiten dabei eng zusammen. Viele Erfolge wurden von indigenen Akteuren mit ihrem jahrzehntelangen Kampf um den Schutz ihrer Lebensräume erkämpft oder vorbereitet.
Strategische Ebenen
Das Deutsche Netzwerk setzt auf vier strategische Ebenen:
- Bildung und Kommunikation: durch Publikationen, Workshops, Online-Formate, Newsletter und Social Media
- Vernetzung und Dialog: mit Wissenschaft, NGOs, Künstlern, Indigenen, Kommunen und internationalen Initiativen
- Recht und Politik: durch Grundgesetzinitiativen, rechtliche Pilotverfahren, Beteiligung an Konferenzen, Gutachten und Positionspapiere
- Künstlerische Interventionen und Erfahrungsformate: wie Systemaufstellungen, „Parlamente der Lebewesen“, Naturgerichte – Methoden, die den Perspektivwechsel von der Natur als Objekt hin zur Natur als Mitwelt erfahrbar machen
Letztes Jahr hat das Netzwerk auf einer der Fachtagung in Berlin als vorrangige strategische Projekte die Europäische Bürgerinitiative definiert, die 2026 gestartet wird, und zwei Arbeitsgruppen gegründet: Eine beschäftigt sich mit Strategischer Prozessführung, die zweite mit Kommunalen Initiativen.
Das Netzwerk versteht sich als Katalysator, nicht als Lobbygruppe. Es arbeitet unabhängig von Parteien und orientiert sich an der Überzeugung, dass nachhaltige rechtliche Veränderungen immer aus einem gesellschaftlichen Kulturwandel heraus erwachsen müssen.
Grundgesetzinitiative
Die Grundgesetzinitiative wurde 2020 als erster Schritt in Angriff genommen, weil sich Klimakatastrophe, exponentielles Artensterben und Zerstörung der Meere nicht mehr mit einer Evolution bestehenden Rechts beantworten lassen. Das Grundgesetz ist als übergeordnetes Recht für alle bindend und setzt den Werte-Rahmen, den Richter bei der Auslegung von Recht und bei der Abwägung von Rechtsgütern beachten müssen: Was im Grundgesetz steht, hat übergeordneten Rang und alle können sich darauf berufen.
Verfassungen wurden über die Jahrhunderte immer wieder angepasst, um den gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen: Die bürgerliche Revolution im 18. Jahrhundert führte zum liberalen Verfassungsstaat, in dem alle Bürger Rechte erhalten haben, die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert zu einer sozialen Verfassungsordnung, die bei allen Abwägungen soziale Aspekte mitberücksichtigen musste.
In der Vergangenheit profitierten vor allem Organisationen und die Wirtschaft von der Weiterentwicklung des Rechts. Dies hat dazu geführt, dass die Natur es heute schwerer denn je hat, sich gegen die Interessen von Unternehmen und Eigentumsrechte durchzusetzen. Der Art. 20a GG (Staatsziel Umweltschutz) reicht nicht aus. Denn Bürger und Natur können daraus keine Rechte auf Schutz der Natur ableiten. Es sei denn, sie schützen ihr Eigentum. Die Natur wird nicht um ihres Eigenwertes willen, sondern als Wert für den Menschen geschützt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Jahr 2022 war ein Stück Verfassungswandel, da es Klimaschutz mit Freiheitssicherung künftiger Generationen kombiniert, und ist insofern wegweisend, als subjektive Rechte wirksam werden. Das Urteil wurde möglich, weil die Klägerinnen (in diesem Fall junge Menschen) das Recht hatten, zu klagen. Es ist ein Beleg dafür, wie wichtig es ist, in unserem Rechtssystem als Rechtspersönlichkeit anerkannt zu sein, um selber aktiv werden zu dürfen.
Die Einführung subjektiver Rechte für die Natur ist von grundlegender Bedeutung, weil es eines Klagerechtes bedarf. Es ermöglicht eine Rechtsprechung, die sich auf Grundlage einer juristischen „Waffengleichheit“ weiterentwickelt. Über die Aufwertung der Natur zu einem Rechtssubjekt im Grundgesetz schützen wir auch die Existenz des Menschen und die Voraussetzungen dafür, dass die Würde des Menschen eine natürliche und die Grundrechte eine materielle Grundlage behalten.
Vorschlag für die Rechte der Natur im Grundgesetz
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(neu: 2) Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten.
(2 wird 3) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten und Rechten der Natur als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Artikel 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht gegen die Rechte anderer einschließlich der natürlichen Mitwelt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Artikel 14
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit und der natürlichen Mitwelt dienen.
Artikel 19
(neu: 4) Die Grundrechte gelten auch für die Natur, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Natur ist rechtsfähig. Sie ist durch die Gesetzgebung, durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung maßgeblich zu achten und zu schützen.
Artikel 20a
Jedes Lebewesen hat seine naturgegebene Würde und das Recht – im Rahmen natürlicher Kreisläufe, Nahrungsketten und Biotope –, seiner Natur nach zu leben. Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen, die Rechte der Natur, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Onlinetipp
Rechte der Natur e.V.
Netzwerk Rechte der Natur
Online-Plattform mit Unterstützungsformular für Grundgesetzänderung
www.rechte-der-natur.de