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Moderne Sklaverei

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Das Buch „Blutrotes Kobalt“ behandelt kein Randthema für Spezialisten, sondern geht uns alle an. „Unser aller tägliches Leben wird durch eine menschliche und ökologische Katastrophe im Kongo ermöglicht“, schreibt der Autor Siddharth Kara am Anfang seines Buches. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaft, Menschenrechtsaktivist und Berater von Regierungen und UN-Organisationen.

von Monika Graf

 

Ohne Kobalt kommt heute so gut wie niemand mehr aus, und ohne Kobalt wären Digitalisierung und Mobilitätswende nach heutigem Stand der Technik nicht machbar. Denn: In fast jedem Lithium-Akku steckt dieses Mineral – wenige Gramm im Smartphone, bis zu 10 Kilogramm im E-Auto. Tablets, Laptops und E-Bikes liegen irgendwo dazwischen, um nur einige Anwendungen zu nennen. Im Jahr 2021 stammten bereits mehr als 70 % des weltweit gehandelten Kobalts aus der rohstoffreichen Demokratischen Republik Kongo – mit steigender Tendenz.

 

Kluft zwischen grünem Image und brutaler Wirklichkeit

Praktisch alle maßgeblichen Tech-Konzerne legen offiziell Wert auf Sozial- und Umweltstandards und dulden keine Kinderarbeit. Siddharth Kara zeigt in seinem Buch: Die Realität sieht anders aus. „Bitte sagen Sie den Menschen in Ihrem Land, dass im Kongo jeden Tag ein Kind stirbt, damit sie mit ihren Smartphones ins Netz gehen können“, zitiert er einen seiner kongolesischen Guides und Dolmetscher.

Seine Reiseeindrücke, die Ergebnisse seiner Recherchen und persönlichen Gespräche ordnet der Autor ein in die geschichtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, angefangen von der „Entdeckung“ des Kontinents über die Kolonialisierung und die Unabhängigkeitskämpfe bis hin zur Globalisierung. Für dieses Buch hat er zwischen 2018 und 2021 dreimal die Demokratische Republik Kongo bereist – vor allem die Region Katanga, in der sich der Kobaltabbau konzentriert. Mithilfe einheimischer Guides konnte er mit Händlern, Beamten, NGO-Mitarbeitern, Vertretern von Kooperativen und vor allem auch mit Arbeitern sprechen, darunter viele Jugendliche.

 

Arbeit in giftigem Wasser und in einsturzgefährdeten Stollen

Schwangere Frauen, junge Mütter mit ihren Babys auf dem Rücken wie auch Kinder im Grundschulalter stehen im giftigen Wasser, um Gesteinsbrocken zu waschen und zu sortieren. Männliche Jugendliche arbeiten mit Erwachsenen unter Tage in kaum gesicherten Stollen, die jederzeit einstürzen können. Mit einigen überlebenden Opfern solcher Unglücke und ihren Eltern konnte Kara sprechen. Viele Familien könnten aber ohne den Beitrag der Kinder und Jugendlichen nicht überleben. Der Schulbesuch bleibt auf der Strecke.

Die persönlichen Geschichten und Interviews gehen besonders unter die Haut. Und es sind keine Einzelschicksale. Hunderttausende Menschen stecken in diesen ausweglosen Strukturen fest. Wird Kobalt gefunden, werden Bergbaukonzessionen vergeben, Wälder abgeholzt oder Menschen von ihrem Ackerland vertrieben. Luft, Wasser und Böden werden mit giftigen Mineralien verschmutzt. Mittendrin leben die Menschen.

 

Vertuschung des „handwerklichen“ Kobaltabbaus

Fast jede offizielle Mine, deren angestellte Arbeiter meist etwas bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen haben, ja sogar die genossenschaftlich betriebenen Schürfstätten oder die Modell- und Vorzeigebetriebe, haben im Hintergrund unzählige nicht registrierte sogenannte Kleinschürfer. Sie betreiben auf eigenes Risiko oder in Abhängigkeit von bewaffneten Auftraggebern und in der Regel völlig ungeschützt den „handwerklichen Kobaltabbau“ – weil ihnen keine andere Wahl bleibt.

So wird die Gesamtausbeute der Minen bei niedrigen Kosten erheblich gesteigert. Denn gezahlt werden für das von Hand geschürfte Material, das einen höheren Kobaltgehalt hat als die maschinell gewonnenen Gesteinsmassen, meist nur Hungerlöhne. Über ein ausgeklügeltes System wird dann dieses hochwertige Kobaltgestein in den Warenstrom eingeschleust und mit dem industriell abgebauten Rohstoff vermischt, bevor die offizielle und rückverfolgbare Lieferkette überhaupt beginnt.

 

Öffentlicher Druck könnte etwas zum Positiven verändern

Die Profiteure dieser Praxis sitzen vor Ort in Regierung, Armee und Amtsstuben. Der Zwischenhandel ist inzwischen fast ausschließlich in chinesischer Hand. Die Abnehmer sind überwiegend große international agierende Technologie- und Autokonzerne in Nordamerika, Fernost und Europa – die dann uns alle mit den begehrten Endprodukten beliefern.

Die wenigen Kongolesen, die noch nicht völlig resigniert haben, setzen ihre Hoffnung auch darauf, dass die Zustände und das System der Verschleierung den Menschen im privilegierten Teil der Welt bekannt werden und öffentlicher Druck auf die globalen Akteure entsteht – damit die sich nicht mehr hinter ihren angeblich sauberen „weitverzweigten multinationalen Lieferketten“ wegducken können und reagieren müssen.

 

Siddharth Kara
Blutrotes Kobalt
Der Kongo und die brutale Realität hinter unserem Konsum
HarperCollins, April 2024
352 Seiten, 26.00 Euro
978-3-365-00619-1


 

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