Charlotte Schmid und Jürgen Resch bei ihrem Treffen in Berlin. – Foto: ÖDP

Umwelt & Klima

„Gemeinsam Druck machen!“

Diesen Beitrag teilen

Industrieinteressen haben in Deutschland traditionell eine starke Lobby, das Gemeinwohl und insbesondere der Umweltschutz häufig das Nachsehen. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), ruft deshalb in seinem kürzlich erschienen Buch dazu auf, mehr Druck zu machen.

Gespräch zwischen Charlotte Schmid mit Jürgen Resch

 

Charlotte Schmid: Lieber Jürgen, ich freue mich sehr, dass du mit mir einen Dialog über dein Buch „Druck machen!“ führst. Wir haben uns gemeinsam für dieses Format entschieden, da es für uns beide erbaulich ist, uns gegenseitig mit Synergien und Ideen zu inspirieren. In deiner Arbeit über die letzten vier Jahrzehnte für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hast du hautnah die Verflechtungen von Politik und Industrie erfahren, gegen die die ÖDP seit vier Jahrzehnten politisch agiert.

Jürgen Resch: Liebe Charlotte, du sagst es! Ich freue mich sehr über die Einladung, für die ÖkologiePolitik einen Dialog mit dir zu gestalten. Die ÖDP darf sich von mir direkt angesprochen fühlen, wenn ich anmerke, es brauche „mutige Politiker, die sich wirklich am Gemeinwohl orientieren und sich nicht einseitig für die Profitinteressen großer Industriekonzerne einspannen lassen“. Denn diese Problematik ist für meine Arbeit für die Umwelt absolut entscheidend.

„Fridays for Future“-Aktivisten haben es auf den Punkt gebracht: „Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten.“ In politischen Diskussionen wird immer wieder angeführt, dass Lobby-Arbeit in sich vertretbar sei, da die Menschen und die Unternehmen, die dafür sorgen, dass Deutschland finanziell „läuft“, gehört werden müssten. Aber, wie bei fast allen Dingen, das Maß ist entscheidend! Wenn jedoch das notwendige Gleichgewicht zwischen Industrie und gemeinnützigen Organisationen aufgegeben wird und nur die Industrie-Lobbyisten Gehör bei den Politikerinnen und Politikern finden, können diese nicht mehr behaupten, sie dienten dem Volk. In deinem Buch schreibst du zum Dieselgate-Skandal: „Statt die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, hatte die Regierung nur die Konzerne geschützt.“ Das ist eine drastische Aussage!

Die Grundsatzbedingungen für Naturschutz waren noch nie für uns Naturschützerinnen und -schützer gut. Und die damals neue Bundeskanzlerin hat dem Naturschutz einen Bärendienst geleistet. Sie hat ein deutliches Signal gegeben: Die Bundesregierung Deutschlands hat ein offenes Ohr für die Industrie, auch wenn das im Umkehrschluss eine aktive Schwächung der Umweltauflagen bedeutet. Das Schlimme daran: Umweltauflagen sind nicht „nur“ für die Interessen von Tieren, Pflanzen und Umwelt wichtig, sondern auch ausschlaggebend für die Gesundheit und das Wohl der Menschen.

Das längste Kapitel in deinem Buch beschäftigt sich mit einer massiven Gefahr für die menschliche Gesundheit: dem Abgasskandal. Die Bundesregierung hätte deutlich früher – teilweise ganz einfach durch Beachtung und Anwendung ihrer eigenen Gesetze – für Korrektur sorgen können und müssen! Du schreibst: „Der Urknall von Dieselgate war der 14. September 2006.“ Bundeskanzlerin Merkel hatte dazu aufgerufen, „die Wachstumsbremsen“ zu lösen. Sie kündigte an, dass EU-Vorschriften nicht mehr übererfüllt, sondern nur noch im gebotenen Mindestmaß umgesetzt würden. Damit hat Angela Merkel in ihrer neu gewählten Euphorie mit einem Schlag eine grundlegende und katastrophale Richtungsänderung der deutschen Umweltpolitik angestoßen.

Ich wollte mit diesem langen Kapitel, ca. ein Viertel meines Buches, deutlich spürbar machen, wie bei jedem kleinen Schritt seitens der Industrie und der Politik taktiert wurde, um der Autolobby alle möglichen Vorteile zu verschaffen. Denn bei Naturschutz reichen reine Fakten keineswegs. Sonst hätte z. B. die erste Veröffentlichung des Club of Rome ausgereicht, um für eine Richtungsänderung in der Klimapolitik zu sorgen! Bei Umwelt-Öffentlichkeitsarbeit muss immer eine Geschichte erzählt werden.

Und dieses Thema ist nicht Vergnügungssteuer-pflichtig! Menschen sind es mittlerweile gewohnt, ihre Informationen häppchenweise gefüttert zu bekommen. Die Nachrichten von gestern sind kalter Kaffee, heute ist doch etwas Neues und Frisches da. Man erwartet sofortige Lösungen und Antworten. Aber du zeigst mit diesen 80 Seiten nicht nur, dass Umweltschützerinnen und -schützer einen unheimlich langen Atem haben und wie lange manche Prozesse dauern, um weiterzukommen, sondern auch, wie agil und erfinderisch wir sein müssen, damit das Gute gewinnen kann. Du hast schon in sehr jungen Jahren einen Müllsack voller langsam auftauender Greifvögel zu einem Treffen mit der „Biologische Bundesanstalt für Forst- und Landwirtschaft“ (BBA) mitgenommen und sie einzeln auf dem Tisch ausgelegt, um den Herrschaften zu zeigen, dass sie als Behörde für solche Konsequenzen verantwortlich sind, wenn sie die Anwendung von Pestiziden wie Endrin erlauben. Ich zitiere: „Ich wollte, dass sie die toten Greifvögel sehen und riechen.“

Diese Sitzung werde ich nie vergessen! Allerdings haben die Herren sich noch gegen unsere Argumentation gewehrt und versucht, eine Fortsetzung der Zulassung zu verteidigen – bis wir ein endgültiges Endrin-Verbot tatsächlich wenige Monate später geschafft haben. Erschreckend oft wurde und wird bei solchen Themen industriepolitisch argumentiert. Und in diesem Fall hat eine Behörde der deutschen Regierung argumentiert, dass in Deutschland weiter Mensch und Tier vergiftet werden müssen, um die Profitinteressen der Hersteller Endrin-haltiger Pestizide gerade in ausländischen Märkten zu schützen. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.

Du hast vorher das Taktieren und Abbremsen der Politik und der Behörden erwähnt, die es den Umweltschützern so schwierig machen, sich durchzusetzen. Es ist meiner Meinung nach ein Armutszeugnis, dass viele der Beteiligten das Wohl der Menschen und ihrer Umwelt nicht objektiv als das höchste Gut für alle Beteiligten betrachten, sondern dass es so häufig um rechtliche Tricksereien und Übertrumpfungen geht. Die Beatles haben schon vor Jahrzehnten „Money can’t buy me love“ gesungen. Und das Gleiche gilt für unsere Existenz auf einem fragilen Planeten.

Es ist einerseits verständlich, dass Rechtsanwälte nur ihren Job machen, für den sie von einem Mandanten bezahlt werden. Allerdings haben auch Rechtsanwälte die freie Wahl, ein Mandat anzunehmen oder eben abzulehnen. Auch Rechtsanwälte werden unter den Auswirkungen der Umweltkrisen leiden. Wenn Rechtsanwälte verweigern würden, die Interessen von umweltschädigenden Mandanten zu vertreten, würde dies den Umweltsündern erschweren, ihre perfiden Projekte durchzuführen. Da würde ich mir sehr wünschen, dass eine gesellschaftliche Veränderung stattfindet!

Aber bei Politikerinnen und Politikern ist es natürlich ganz anders. Denn sie werden ja nicht von einem Mandanten bezahlt, um ein bestimmtes Vorhaben umzusetzen.

Als Engländerin hast du natürlich einen sehr sarkastischen Humor!

Man muss versuchen, es mit Humor zu betrachten, sonst könnte man weinen! Natürlich sind Politikerinnen und Politiker gewählt, um die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Wir sind ein demokratisches Land und die Wählerinnen und Wähler erwarten – zu Recht – dass ihre Vertreter in einem Parlament in ihrem Interesse handeln. Meiner Meinung nach ist es inakzeptabel, dass Regierungsmitglieder nicht nur der korrekten Umsetzung eines bestehenden Gesetzes im Wege stehen, sondern auch das Bestehen eines gesetzlich verbotenen Umstands unterstützen. Denn das ist bei Dieselgate zustande gekommen.

Uns Umweltverbänden – die man auch als Lobbyisten betrachten kann, wenn wir ein bestimmtes Interesse vertreten – ist es auch nicht recht, dass Lobbyisten aus einer bestimmten Schlagrichtung großzügig Gehör finden und dass wir keinen Zugang zu den Entscheidungsträgern erhalten. Nach dem Motto „audi alteram partem“ – „auch die andere Seite hören“. Es besteht eine gefährliche Einseitigkeit bei der Ausübung von Einfluss in der deutschen Regierung. Das will man nicht wahrhaben.

Ein weiterer lateinischer Spruch fällt mir hier ein: „Quis custodiet ipsos custodes? – Wer wacht über die Wächter?“ Wenn die gewählte Regierung versagt, sogar nachdem das Bundesverfassungsgericht sie bereits auf ihr Versagen aufmerksam gemacht hat, was soll man dann machen, außer vor Gericht zu ziehen? Als außerparlamentarische Politikerin betrachte ich diesen Zustand bei manchen gewählten Volksvertretern mit Entsetzen. Die ÖDP hat für ihren EU-Wahlkampf einen starken Spruch gewählt: „Erstaunlich ehrlich“. Ehrlichkeit ist Mangelware in der deutschen Politik.

„Erstaunlich ehrlich“ gefällt mir! Ehrlichkeit und Werte sind in einer postfaktischen Welt wichtiger denn je! Es gilt nach wie vor, dass wir auf allen Ebenen, von der Kommunal-Ebene bis zur EU-Ebene, DRUCK MACHEN! müssen. Wir, die verschiedenen Umweltverbände, haben eigene präferierte Vorgehensweisen, wie wir unsere Themen voranbringen. Und das ist gut so. Die ÖDP redet gerne von Artenvielfalt! Das sehe ich auch bei diesem Kampf. Je mehr Menschen auf ihre eigene Art und Weise konsistent und ehrlich für das Gute kämpfen, desto größer sind die Chancen, dass wir Erfolg haben.

Definitiv! Manche schreiben Briefe, wie die elfjährige Marlene, die die Bundesregierung per Klage zu ernsthaftem Klimaschutz bewegen wollte. Andere gehen auf Demos, wie die „Fridays“. Manche engagieren sich unermüdlich ehrenamtlich bei Vereinen, Parteien oder Verbänden. In der ÖDP sind viele Mitglieder kommunalpolitisch aktiv und arbeiten hier ganz nah an der Bevölkerung um sich herum. Und alle diese Ansätze zielen in die gleiche Richtung.

Das Schreiben von Marlene zeigt, dass Druck von jeder und jedem ausgeübt werden kann. Du hast mir auch erzählt, wie deine Tochter als Zehnjährige dem Landrat eine Petition übergeben und ihm erzählt hat, warum eine alte Eiche nicht gefällt werden darf. Niemand ist zu klein, um für seine Welt zu kämpfen.

Es ist schön und gleichzeitig unendlich traurig, dass teilweise bereits junge Kinder das Ausmaß der Umweltkatastrophe verstehen und sich dagegen engagieren. Eine unschuldige und unbeschwerte Kindheit ist heutzutage brutal kurz. Unsere Generation hat unsere Kinder um ihre Zukunft betrogen. Und das ist leider nicht mehr gutzumachen. Wir können lediglich das Beste aus einer schlimmen Situation machen.

Das werden wir machen, liebe Charlotte! Ich lade die Leserinnen und Leser auch dazu ein, aktiv zu werden. Der vorletzte Satz in meinem Buch lautet: „Lassen Sie uns gemeinsam Natur, Umwelt, Klima und Menschen schützen – indem wir gemeinsam DRUCK MACHEN!“ Denn gemeinsam haben wir eine Chance!

Danke für das Gespräch, lieber Jürgen!

 


Buchtipp

Jürgen Resch
Druck machen!
Wie Politik und Wirtschaft wissentlich
Umwelt und Klima schädigen – und
was wir wirksam dagegen tun können
Ludwig, August 2023
336 Seiten, 22.00 Euro
978-3-453-28159-2