Das Streben nach individuellem „Wohnglück“ verhindert Ortsidentität und ein Gemeinschaftsgefühl. – Foto: Klaus Leidorf

Bauen & Verkehr

„Architektur und Städtebau sind öffentliche Künste“

Diesen Beitrag teilen

Zuerst prägt der Mensch den Raum, dann prägt der Raum den Menschen. Gebäude, Straßen, Plätze und Parks beeinflussen unser Befinden und Bewusstsein stark. Deshalb sollte beim Bauen der Gemeinwohl-Gedanke eine zentrale Rolle spielen. Und weil es sehr viel Energie, Rohstoffe und Bodenfläche verbraucht.

Interview mit Prof. Dr. Martin Düchs

 

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Düchs, wie gemeinwohlorientiert sind Architektur und Städtebau derzeit?

Prof. Dr. Martin Düchs: Leider wenig. Auf beiden Ebenen setzen sich Partikularinteressen immer stärker durch. Da sind Häuslebauer, die mit Begründungen wie „Es muss nur mir gefallen!“ das Ortsbild zerstören. Und da sind große Investoren, die Gemeinden ihre Bedingungen diktieren – immer so, dass sie dem Gewinn des Unternehmens dienen. Dabei sind Architektur und Städtebau eigentlich Felder, denen eine Gemeinwohl-Orientierung strukturell eingeschrieben ist, denn sie sind öffentliche Künste. Sie haben immer eine Außenseite, die den öffentlichen Raum und damit das Gemeinwohl beeinflusst: funktional, sozial, ästhetisch, ökonomisch und ökologisch.

Welche Instrumente gibt es, um mehr Gemeinwohl-Orientierung durchzusetzen?

Es gibt dafür einen bunten Strauß an Gesetzen, Verordnungen und Normen auf verschiedenen Ebenen. Auf Gemeindeebene kann z. B. ein Bebauungsplan erlassen werden. Der legt für ein bestimmtes Gebiet fest, wie viel und wie hier gebaut werden darf. Das dient dem Gemeinwohl, weil so eine konsistente Struktur eines Gebiets erreicht wird – mit gleichen Rechten und Pflichten für alle. Und weil sich übergeordnete Interessen wie Verkehr, Versorgung oder Gesamtwirkung in der Planung besser berücksichtigen lassen. Die Landesbauordnungen dienen dazu, Partikularinteressen miteinander auszugleichen – z. B. durch die Regelung der Abstandsflächen –, und sorgen zudem dafür, dass die Interessen der Allgemeinheit z. B. bei Sicherheitsfragen gewahrt bleiben. Auf Bundesebene gibt es im Baugesetzbuch (BauGB) z. B. den berühmt-berüchtigten § 34, gemäß dem sich eine Baumaßnahme innerhalb einer bestehenden Bebauung in die Umgebung einfügen muss. Und die sogenannte „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) nach § 165.

Was ist eine SEM?

Die SEM ist ein Instrument, das einer Gemeinde erlaubt, ein bestimmtes Gebiet vergleichsweise rasch und konsistent als Ganzes zu entwickeln. Die Gemeinde hat dabei für alle Flächen ein Vorkaufsrecht und kann diese sogar mit Entschädigung enteignen. Der Preis, den sie dabei zahlen muss, ist der, den die Flächen vor dem Beschluss der SEM hatten. Die Stadt bezahlt also den Preis von Ackerland, bekommt aber Bauland. Das wäre ungerecht, wenn die Stadt das vornehmlich deshalb tun würde, um sich mit der enormen Gewinnmarge zwischen Acker- und Bauland zu bereichern. Deswegen gibt es für eine SEM hohe gesetzliche Hürden, wozu explizit zählt, dass „das Wohl der Allgemeinheit“ ihre Durchführung erfordert. Zudem muss der „Spekulationsgewinn“ durch eine SEM wieder der Entwicklung des Gebiets und dadurch der Allgemeinheit zufließen. Eine SEM ist also eine explizit auf das Gemeinwohl hin konzipierte Maßnahme. Die kann aber auch mit individuellen Härten einhergehen – Stichwort: Enteignung. Deswegen die hohen Hürden. Und deswegen wurde dieses Instrument bisher relativ selten und vermehrt erst in den letzten Jahren angewendet – obwohl es bereits lange im BauGB verankert ist.

Ist nicht zu bauen nicht die ökologisch sinnvollste Option?

Nicht mehr zu bauen, ist aus ökologischer Perspektive zu kurz gedacht. Denn in einer großen Stadt, in der Wohnungsnot herrscht, würden dann viele Menschen in die Vororte und ins Umland ausweichen. Dort verbrauchen sie aber aufgrund anderer Bauformen mit größeren Erschließungs- und Versiegelungsflächen pro Person wesentlich mehr Fläche als in dicht gebauten städtischen Siedlungen. Da kann sich der Bürgermeister dann zwar hinstellen und stolz verkünden, er habe z. B. 1 Hektar Ackerland erhalten, muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass dafür einige Kilometer weiter bis zu 7 Hektar zugebaut werden. Wir müssen endlich weg von diesem kommunalen Klein-Klein, wo jede Gemeinde nicht über ihre Stadtgrenze hinausdenkt. Wenn gebaut wird, dann gilt jedoch: Hohe Dichten mit entsprechenden Bauformen senken den Ressourcenverbrauch. Und eine sinnvoll angewandte Technik auch. Effizienz allein genügt allerdings nicht. Wir brauchen auch Resilienz und Suffizienz als Leitplanken nachhaltigen Handelns. Resilienz bedeutet: Systemstabilität. Es bringt nichts, ein Gebäude bis unters Dach mit Technik und Sensoren vollzustopfen, die nach 3 Jahren ihren Dienst aufgeben, weil alles so kompliziert ist. So einfach wie möglich und nur so kompliziert wie nötig, muss die Devise lauten. Suffizienz kommt in den Architektur-Debatten nach wie vor viel zu kurz. Gemeint ist damit der individuelle Lebensstil, die Frage, was für ein gutes Leben nötig ist. Wie viel Quadratmeter braucht eine Person? Kann man im Winter enger wohnen als im Sommer und entsprechend weniger Räume heizen? Muss es polierter Granit aus China sein? Und so weiter. Hier wird es besonders schwierig, denn bei ihrem persönlichen Lebensstil wollen sich viele nicht reinreden lassen.

Welche Instrumente wären noch sinnvoll, um die Gemeinwohl-Orientierung zu stärken und die ökologische Transformation voranzubringen?

Vielleicht brauchen wir gar kein zusätzliches Instrument, sondern – wie in vielen anderen Bereichen – einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel, mehr wissenschaftlich fundierte Kenntnis über Zusammenhänge und vor allem auch Mut: Mut zur Veränderung. Und Mut zur Zukunft. Wenn wir alles so lassen, wie es ist, können wir sicher sein, dass sich alles verändert. Angesichts der ökologischen Krise werden wir unsere Städte und Dörfer umbauen und teilweise auch neu bauen müssen. Dieser Umbau muss zum einen wissenschaftlichen Erkenntnissen gerecht werden und darf nicht nostalgischen Bildern folgen. Zum anderen muss er auf menschliche Weise geschehen, muss emotionale, ästhetische und soziale Bedürfnisse berücksichtigen. Und dabei ist der Eigenwert und der funktionale Wert der Natur anzuerkennen und zu berücksichtigen.

Herr Prof. Düchs, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipp

Eric-Oliver Mader, Julia Mang-Bohn (Hrsg.)
50+1 Architektonische Gewissensfragen
beantwortet von Dr. Martin Düchs
Dölling und Galitz, September 2019
248 Seiten, 22.00 Euro
978-3-86218-127-8


Onlinetipp

Interview mit Dr. Martin Düchs
„Wie wollen wir das Zusammen-Leben gestalten?“
ÖkologiePolitik, 14.08.2020
www.t1p.de/0pws1