Extremisten spalten unsere Gesellschaft immer mehr und profitieren davon. – Foto: beprop/pixabay.com

Gesellschaft & Kultur

„Spaltung: ein kongeniales Geschäftsmodell“

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Unsere Gesellschaft polarisiert sich. Aggressive Ideologien mit allzu simplen Weltbildern und klaren Feindbildern stoßen auf große Resonanz und breiten sich aus. Die Vernunft scheint dabei immer mehr unter die Räder zu geraten. Ein Kabarettist bläst zur Gegenoffensive und bezeichnet sich als Vertreter der „radikalen Mitte“.

Interview mit Andreas Rebers

 

Ökologie Politik: Herr Rebers, Sie bezeichnen sich als Vertreter der „radikalen Mitte“. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Andreas Rebers: Wir leben in einer Welt, in der die Mitte bald tiefer liegt als die Ränder. Dabei werden die Ränder immer lauter und beanspruchen für sich die Deutungshoheit über gesellschaftsrelevante Themen. Die Spaltung unserer Gesellschaft ist ein kongeniales Geschäftsmodell, das beiden Seiten nützt. Sie bedingen sich gegenseitig und profitieren von der jeweiligen Verteufelung des anderen. Paradoxerweise argumentieren sie gleichzeitig mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, der aber natürlich nur für sie selbst gilt. Nun werden in der medialen Abbildung nicht nur Bilder gezeigt, sondern es wird dort auch mit Worten hantiert und es werden Begriffe geprägt: Da die „Impf-Gegner“, da die „Impf-Befürworter“, die „Corona-Leugner“, die „Klima-Leugner“. Dann gibt es „Querdenker“ – dabei freue ich mich doch über jeden, der in unserer Bilderrepublik noch einigermaßen geradeaus denken kann. Durch diese Begrifflichkeiten und einem sich immer weiter verbreiteten Haltungsjournalismus wird auch eine schnelle Zuordnung ermöglicht. Dann fehlt nur noch die Frage: „Bist du bei denen oder bei denen?“ Herzlich willkommen, die Schubladen sind geöffnet! Ich halte es mit meiner Arbeit wie der Journalist Hanns Joachim Friedrichs: „Ich bin überall dabei, mache mich aber nicht gemein.“

Warum erachten Sie Ihre etwas irritierende Positionierung als angebracht?

Wenn wir nicht aufpassen, könnte aus einer tiefer liegenden Mitte irgendwann so etwas wie eine Kloschüssel werden. In einem ernst gemeinten Diskurs geht es wie in einem sokratischen Gespräch immer um Annäherung und Respekt. Das rührt aus der Pflicht, zu einer gemeinsamen Einigung bzw. zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Das geschieht auf der Basis von Fakten und Kompromissbereitschaft. Und nicht auf der Basis von Gefühlen oder Emojis. Der herrschaftsfreie Diskurs ist nur möglich, solange niemand ausgegrenzt und diabolisiert wird. Die Polarisierung unserer Gesellschaft ist ein zutiefst egoistischer Vorgang und ähnelt eher einer Performance als einer Auseinandersetzung. Um es klar zu sagen: An den Polen sind Annäherungen unerwünscht. Und was erschwerend hinzukommt, ist, dass Deutsche Probleme haben, sich in der Nähe abzugrenzen.

Was war der Auslöser ihrer Positionierung?

Definitiv die Berichterstattung und die Abbildung der Flüchtlingskrise 2015. Unser Meinungsmarkt hat sich in dieser Zeit so verhalten wie alles, was dem Warenfluss des Kapitalismus unterworfen ist: Die einen machten Willkommenskultur, die anderen die Kollateralschäden. Ich rede also von Marktlücken. In dieser Zeit hatte ich den Begriff „Lückenpresse“ erfunden. In der „Süddeutschen“ tut man ja bis heute so, als hätte es den „Tag der offenen Hose“ an Silvester 2015/2016 auf der Kölner Domplatte nie gegeben. Ein schwerwiegender Fehler, den auch ARD und ZDF gemacht haben. Die AfD hat sich jedenfalls gefreut. Ich möchte es so formulieren: Wahrheiten, die man wegsperrt, werden giftig! Und wer sich mit derer von Storchens beschäftigt, der weiß, dass die keine Angst haben, diese Giftschränke auch mal aufzumachen und sie unters Volk zu bringen, wenn es ihnen nützt. Der tiefere Sinn der Abbildungen dieser Tage – ich rede von den applaudierenden Voyeuren an deutschen Bahnhöfen und den völlig überforderten Flüchtlingen, die von den Massenmedien zur Schau gestellt wurden – erfüllt einen Zweck. Diese Bilder wurden um die ganze Welt geschickt. Die Welt kannte ja bereits viele Bilder aus Deutschland, die allerdings an das Unfassbare erinnerten. Und nun gab es die Gelegenheit, nachdem die Olympischen Spiele 1972 auch in die Hose gegangen waren, endlich andere Bilder zu zeigen: das Bild des „guten Deutschen“. Oder um es mit Katrin Göring-Eckardt zu sagen: „Das Bild der Moral-Weltmeister“! Diese Bilder zeigen allerdings nur, wie man sich gerne sähe. Und das hat in Deutschland eine lange Tradition. Ich selbst bin ein eher akustisch veranlagter Mensch und betrachte Bilder und Abbilder immer mit einer gewissen Skepsis. Beispielsweise beobachte ich, dass in der medialen Aufarbeitung der deutschen Geschichte und des Dritten Reichs immer mehr Farbdokumente gesendet werden – zum Teil original, aber eben auch nachkoloriert. Amüsant! Durch die Farbe bekommen die Bilder etwas Kontemporäres und rücken dadurch etwas dichter an die anderen Bilder, die uns heute gezeigt werden. Aber wir wissen natürlich, dass es sich bei den Nürnberger Aufmärschen um tempi passati handelt. Auf der anderen Seite werden die zeitgenössischen rechten Terroristen des NSU – also Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt – grundsätzlich als Schwarz-Weiß-Dokument gezeigt. Nennen wir es Retro-Design. Die beabsichtigte Wirkung liegt auf der Hand: „Die gehören nicht zu uns!“ Ist das so?

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Positionierung?

In der pseudolinken Szene wurde ich dafür in die rechte Ecke geschoben. Ein gut verdienender „Aktivist“ aus München warf mir vor, dass das, was ich mache „Wasser auf die Mühlen der Rechten“ sei. Meine Antwort war und bleibt: „Das Wasser ist nicht das Problem, sondern die Mühlen!“ Und diese Mühlen haben vor allem weite Teile der Großstadt-Grünen den Rechten in der Provinz kampflos überlassen, weil sie ihre Lebensentwürfe nicht mit dem Dreck der Müllerarbeit verschmutzen wollen. Ich persönlich hatte nie ein Problem, mich dreckig zu machen. Das hat mit meiner Lebensgeschichte zu tun. Von Slavoj Žižek stammt der Satz: „Was ist das Gegenteil von Zukunft? Herkunft!“ In meiner Kindheit und Jugend saß der Zweite Weltkrieg mit am Tisch. Meine Mutter war Flüchtling, mein Vater schwerbehindert, wir Kinder teilten uns zu dritt ein Zimmer. Und als mein ältester Bruder auf eine weiterführende Schule gehen wollte, fragten Pastor, Lehrer und Gutsbesitzer: „Warum?“

Herr Rebers, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


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Andreas Rebers
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