Da der Staat das Geld selber „drucken“ kann, muss er zum Finanzieren seiner Aufgaben nicht warten, bis ihm Bürger und Unternehmen ausreichend Steuern gezahlt haben. – Foto: geralt/pixabay.com

Wirtschaft & Soziales

„Die MMT ist kein ‚Tischlein deck dich‘-Programm“

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Angesichts der Dringlichkeit und Wichtigkeit umwelt- und sozialpolitischer Maßnahmen plädieren die Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) für eine Abkehr von der Austeritätspolitik und für aktiveres staatliches Handeln. Möglich sei dies, weil der Staat das Währungsmonopol hat und deshalb nicht auf Steuereinnahmen warten muss. Aber drohen da nicht Inflation und Chaos?

Interview mit Dr. Michael Paetz

 

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Paetz, wie kam es 1923 zur großen Inflation?

Dr. Michael Paetz: Aus meiner Sicht hatte die Hyperinflation drei Gründe: eine Verknappung des Angebots, Schulden in ausländischer Währung und Lohn-Preis-Spiralen. Die Reparationen mussten in ausländischer Währung bezahlt werden, weshalb Deutschland mehr exportieren als importieren musste, um an Devisen zu gelangen. Durch den Ersten Weltkrieg war die Produktionskapazität Deutschlands aber beschädigt. Außerdem war die Wirtschaft stark auf die Produktion militärischer Güter ausgerichtet. Die zu geringe eigene Produktion reichte daher nicht einmal aus, um die einheimische Nachfrage zu bedienen. Statt eines Exportüberschusses verzeichnete man ein Defizit, was zu einer Abwertung der Reichsmark führte und die Schuldenlast noch vergrößerte. Das Ruhrgebiet – die industrielle Basis – wurde dann auch noch von den Alliierten besetzt, als Deutschland die Reparationen nicht zahlte. Daraufhin gab es einen Generalstreik und die deutsche Regierung entschied sich, die Löhne der Arbeiter weiterzuzahlen. Das Angebot von Gütern sank, während Löhne weitergezahlt wurden, wodurch die Preise stiegen. Dies wiederum vergrößerte das Handelsbilanzdefizit und somit den Abwertungsdruck auf die Reichsmark. Die Tatsache, dass Deutschland zur Zahlung der Reparationen Reichsmark gegen ausländische Währung tauschte, verstärkte den Abwertungsdruck zusätzlich. Die Abwertungen der Reichsmark verteuerten zudem ausländische Waren. Hierdurch stiegen die Lebenshaltungskosten der Arbeiter, die daraufhin höhere Löhne forderten und die Preise weiter nach oben trieben. Es entstand ein Teufelskreislauf. Joan Robinson, eine Schülerin von John Maynard Keynes, verwies bereits 1938 darauf, dass es diese Kombination von Umständen war, die einen fortwährenden Anstieg der Inflationsrate erzeugte, weil der durch die Lohnerhöhung induzierte Preisanstieg das Handelsbilanzdefizit immer weiter vergrößerte und so zu einer weiteren Abwertung der Währung führte, welche wiederum weitere Lohnsteigerungen nach sich zog. Die Abwertung konnte daher nicht zu einer relativen Vergünstigung einheimischer Produkte führen, die einen Handelsbilanzüberschuss hätte herbeiführen können. Es entstand stattdessen eine Lohn-Preis-Wechselkurs-Spirale, die durch den Aufkauf ausländischer Währung zur Zahlung der Reparationen zusätzlich angeheizt wurde. Fazit: Die Kosten eines verlorenen Krieges können eine Währung zerstören. Das Budgetdefizit des Staates stellt allein für die Hyperinflation hingegen keine hinreichende Begründung dar, auch wenn dies immer wieder behauptet wird. Und die Geldmenge stieg auch erst im Anschluss, weil durch die höheren Preise die Nachfrage nach Geld stieg. Banken stellten dieses Geld durch eine erhöhte Kreditvergabe zur Verfügung und der Staat durch höhere Lohnzahlungen.

Laut Modern Monetary Theory (MMT) darf ein Staat Geld „nach Bedarf drucken“. Droht da nicht eine ähnliche Inflation? Welche Grenzen sind zu beachten?

Wie eben dargelegt, stellt die typische Kausalitätskette „Mehr Geld führt zu mehr Inflation“ die Realität auf den Kopf. Während einer Hyperinflation läuft die Geldmenge den Preisen hinterher und kann daher nicht für sie verantwortlich sein. Zudem ist es ausgesprochen befremdlich, dass man in Deutschland immer wieder an eine Zeit erinnert, die mit der heutigen überhaupt nichts gemein hat. Wir kämpfen spätestens seit der Finanzkrise gegen eine Deflation, also sinkende Preise. Statt mit Vergleichen zur Hyperinflationsperiode unnötige Ängste zu schüren, sollte man sich eine andere historische Episode ins Gedächtnis rufen: Es war die deflationäre Austeritätspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning, die den Nazis den Weg ebnete. Man sollte mit solchen Vergleichen natürlich sehr vorsichtig sein, aber wenn man den derzeitigen Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa betrachtet, fallen einem schon einige äußerst beängstigende Parallelen auf. Es gibt derzeit keinen ernstzunehmenden Ökonomen, der vor der Gefahr einer Hyperinflation warnt. Sollten aufgrund der Pandemie viele Unternehmen pleitegehen, kann es natürlich zu einer temporären Angebotsverknappung kommen, die temporär auch zu etwas schneller steigenden Preisen führen kann. Daher ist es ja auch so wichtig, dass die jetzigen Unterstützungsmaßnahmen großzügig ausfallen, um eine Angebotsverknappung so gut es geht zu vermeiden. Sollte es dennoch dazu kommen, werden wir einen geringen Anstieg der Inflationsrate erleben, der schnell wieder zurückgehen wird, sobald die Kapazitäten wieder ausgeweitet wurden. Mit einer Hyperinflation hat das aber rein gar nichts zu tun. Ich erwarte eine starke Ausgabezurückhaltung nach der Pandemie. Unternehmen wie private Haushalte haben sich entweder stärker verschuldet oder ihr Gespartes verringert. Sie werden nach der Pandemie daher versuchen, ihre Schulden zu verringern oder ihr Polster wieder auszubauen. In Europa ist die Gefahr sehr groß, dass wir zu wenig gegen diese Nachfrageschwäche tun und mit einem weiteren verlorenen Jahrzehnt rechtspopulistische Kräfte stärken. Wenn zusätzlich zum Privatsektor dann auch noch der Staat versucht, Einnahmeüberschüsse zu erzielen, indem er seine Ausgaben reduziert, wird er die Krise unnötig verschlimmern, so wie wir es nach der Finanzkrise z.B. in Griechenland erlebt haben. Falls dann tatsächlich viele Unternehmen pleitegehen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft schneller zu einem Anstieg der Inflation kommen wird, weil wir die Kapazitätsgrenzen eher erreichen werden. Sollte ein solcher Anstieg tatsächlich zu beobachten sein, hat die Regierung aber jederzeit die Möglichkeit, geplante Ausgaben zu verschieben. Die Entwicklung der Inflation hängt letztlich von der Lohnentwicklung ab. Die aktuellen Abschlüsse in Deutschland sind viel zu gering ausgefallen. Auf dieser Seite ist also eher eine weitere Schwächung der Nachfrage zu sehen. Da die gesamte Welt in eine Krise rutscht, ist auch vom Außenhandel kein Impuls zu erwarten, der eine nennenswerte Inflationsgefahr hervorruft.

Wie sollen künftige Generationen die Schulden der heutigen Generation begleichen?

Zunächst einmal existieren Forderungen und Verbindlichkeiten immer zur gleichen Zeit. Die Schulden des Staates entsprechen dem Nettogeldvermögen des Privatsektors. Die Zinsen, welche die Regierung für ihre Anleihen zahlt, sind demnach die Einkommen derjenigen, die die Schuldtitel halten. Zukünftige Generationen werden daher auch nicht belastet, wenn der Staat in Zukunft die Steuern erhöhen sollte, um den Schuldenstand zu verringern, weil die Steuerzahler ebenfalls zur gleichen Zeit leben wie die Empfänger der Zahlungen. Es folgt also schlimmstenfalls ein Verteilungskonflikt innerhalb einer Generation, aber kein Konflikt zwischen Generationen. Wenn man einen Verteilungskonflikt mindern möchte, kann man z. B. besonders hohe Einkommen oder Vermögen besteuern. Die Frage an sich ist aber schon falsch gestellt, weil sie impliziert, dass wir die Verschuldung reduzieren müssten, was ich für einen schrecklichen Fehler hielte und meines Erachtens auch nicht geschehen wird. Ein weiteres Jahrzehnt Austeritätspolitik würde ­– wie ich oben bereits ausgeführt habe – den Weg in eine Katastrophe ebnen. Wie wir anhand der Entwicklung in Griechenland nach der Finanzkrise sehen können, funktioniert diese Politik zudem auch nicht. Wenn die Wirtschaft aufgrund einer zu geringen Nachfrage nicht läuft, steigt das Haushaltsdefizit des Staates ganz automatisch, weil die Steuereinnahmen fallen, während die Sozialausgaben steigen. Da man das Defizit nicht kontrollieren kann, sollte es auch keine Zielgröße sein. Man sollte vielmehr darauf schauen, ob die Nachfrage ausreicht, um eine ausreichende Beschäftigung zu gewährleisten. Da ein Staat, der seine eigene Währung ausgibt, keinen finanziellen Einschränkungen unterliegt, kann er sich jedes Schuldenniveau leisten und muss die Schuldenhöhe auch nicht aus finanziellen Gründen verringern. Sollte die Privatwirtschaft überhitzen, wäre es aber theoretisch möglich, dass ein Staat Überschüsse erzielen sollte, um einen Anstieg der Inflationsrate zu vermeiden. Dies würde die Verschuldung selbstverständlich verringern, ist in naher Zukunft aber nicht zu erwarten. Die Schuldverschreibungen, die z. B. bei der Einführung der Deutschen Mark (DM) entstanden sind, weil der Staat jedem Bürger 60 DM auszahlte, stehen heute noch in der Bilanz der Bundesbank. Solange die Zentralbank kooperiert und keine Verschuldung in ausländischer Währung existiert, stellt sich die Finanzierungsfrage für einen Staat nicht. Die Schulden der Corona-Krise werden in 50 Jahren vermutlich ebenfalls in der Bilanz der Bundesbank stehen. Unsere Enkel müssen also keine Angst vor staatlichen Schulden haben, sondern vor sanierungsbedürftigen Schulen und Brücken und vor allem einer ökologisch nicht nachhaltigen Produktionsweise.

Die MMT ist vor allem in den USA bekannt und hat die meisten Anhänger im linken Parteiflügel der Demokraten. Warum gerade dort? Warum ist sie bei den Republikanern unbeliebt?

Die MMT ist im Kern „nur“ eine Darstellung monetärer Zusammenhänge und keine politische Bewegung. Ihre Vertreter verfolgen aber häufig Ziele, die man in den USA wohl eher dem politisch linken Lager zuschreiben würde: z. B. die Verringerung der Ungleichheit, Umweltschutz und Ökologie oder die Regulierung des Finanzsektors. Ich würde aber nicht sagen, dass die MMT bei Republikanern prinzipiell unbeliebt sei. Sicher würde sich kein Republikaner öffentlich zur MMT bekennen, weil eine Erhöhung von Staatsschulden bei konservativen Senatoren und Wählern grundsätzlich nicht besonders angesehen ist. Diese sind ja mehrheitlich der Auffassung, dass eine Marktwirtschaft am besten funktioniert, wenn der Staat so klein wie möglich ist. Dennoch haben die USA unter republikanischer Führung regelmäßig kein Problem damit gehabt, höhere staatliche Defizite in Kauf zu nehmen, wenn man hierdurch die Steuern für Vermögende senken oder Rüstungsausgaben erhöhen konnte. Das war in der Vergangenheit ja schon unter Reagan der Fall. Neu ist, dass jemand wie Donald Trump sich mit „We print the money“ der MMT-Aussage bediente, dass der US-Regierung das Geld nicht ausgehen kann, weil sie es ja selber herstellt. Es ist schon verwunderlich, dass gerade die Demokraten häufig eine „solidere“ Haushaltspolitik umgesetzt haben als ihre republikanischen Kollegen, die lieber über neue Schulden ihre Klientel bedient haben.

Die Anhänger der MMT betonen zwar das Gemeinwohl, doch kann das neu „gedruckte“ Geld ja von der Politik auch anderweitig benutzt werden. Wo liegen die Grenzen der MMT? Und warum brauchen wir sie trotzdem?

Dass eine richtige gesamtwirtschaftliche Wirtschaftspolitik auch von den falschen Kräften missbraucht werden kann, darf kein Grund dafür sein, sinnvolle staatliche Ausgabenprogramme nicht zu nutzen oder gar zu verbieten. Diesem Vorwurf des Missbrauchs sah sich ja bereits der Keynesianismus ausgesetzt, weil die Nazi-Ökonomen zu Beginn ihrer Macht, mit Ausgabensteigerungen die Wirtschaft in Fahrt brachten und so die Beliebtheit in der Bevölkerung erhöhen konnten. Es war aber nicht der Fehler des Keynesianismus, dass Brüning zuvor eine desaströse Austeritätspolitik durchführte. Je länger die Parteien des demokratischen Spektrums einer völlig unnötigen Sparpolitik das Wort reden – wie es auch linke Parteien immer wieder tun, wenn sie zunächst die Steuereinnahmen erhöhen wollen, um im Anschluss etwas für die Einkommensschwachen oder die Umwelt zu tun –, werden autoritäre Parteien, die einen gesamtwirtschaftlich richtigen Weg mit gesellschaftlich falschen Zielen verbinden, dazugewinnen. Der US-Präsident der Nachkriegszeit, Franklin D. Roosevelt, hatte dies erkannt und seine Job-Programme auch mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland umgesetzt. Eine Begrenzung der Staatsverschuldung ist letztlich auch eine Begrenzung der Demokratie, weil die gewählten Vertreter ihrer Möglichkeiten beraubt werden. Konservative Ökonomen scheinen eine große Angst vor der Demokratie zu haben, weil eine Mehrheit der Menschen sich ggf. für mehr staatliche Eingriffe entscheiden könnte. Daher haben sie sich schon immer für eine Begrenzung des Staates ausgesprochen. Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Samuelson sagte sinngemäß, der Mythos des finanziell eingeschränkten Staates müsse aufrechterhalten werden, weil die Wähler ansonsten zu hohe Forderungen an die Regierung stellen könnten. Die MMT steht weder für einen großen noch einen kleinen Staat ein. Statt für eine maximale Freiheit des Marktes setzen wir uns für ein maximal demokratisches System ein. Die Entscheidung über die Höhe eines staatlichen Defizits gehört ins Parlament, schließlich müssen Politiker sich regelmäßig rechtfertigen. Und wenn die Ausgaben nicht für die Felder genutzt werden, welche die Mehrheit der Wähler für wichtig hält, können sie abgewählt werden. Übrigens haben es Politiker in den vergangenen 40 Jahren auch ganz ohne die uneingeschränkte Möglichkeit, Ausgaben zu tätigen, geschafft, eine furchtbare Politik umzusetzen, die den Klimawandel ebenso befeuert hat wie die Ungleichheit. Die eingeschränkte Handlungsfähigkeit hat die Politik eher verschlechtert. Was die Grenzen der MMT betrifft, haben wir oben ja bereits eine benannt. Wenn die Preise beginnen, schneller zu steigen, sollte der Staat geplante Ausgaben verschieben, da die Volkswirtschaft offensichtlich ihre Kapazitätsgrenze erreicht hat. Die MMT ist kein „Tischlein deck dich“-Programm: Wenn alle Arbeiter beschäftigt sind, lassen sich keine zusätzlichen staatlichen Projekte mehr umsetzen, ohne die Preise nach oben zu treiben. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, braucht man diese ja nun auch nicht mehr. In dieser Situation muss man dann tatsächlich abwägen, welche Projekte man schneller umsetzen möchte. Zudem könnten die Preise bereits beginnen, schneller zu steigen, bevor ein Zustand der Vollbeschäftigung erreicht ist. Ökonomen, die glauben, dass man jederzeit immer genau die Nachfrage schaffen kann, die in der privaten Wirtschaft fehlt, um alle Arbeitswilligen zu beschäftigen, kann man wohl bestenfalls als naiv bezeichnen. Für die Personen, die auch unter einer Vollbeschäftigungspolitik temporär keinen Job finden, obwohl sie arbeiten möchten, wollen MMT-Ökonomen deshalb eine Job-Garantie zum Mindestlohn anbieten. Diese würden im Wesentlichen die Menschen in Anspruch nehmen, die wenig verdienen und daher auch nicht auf Gespartes zurückgreifen können. Dies sind genau diejenigen, die von einer Krise immer besonders hart betroffen sind und ohnehin staatliche Hilfe benötigen. Und wenn man solche Programme mit Fortbildungsmaßnahmen kombiniert, können diese Menschen später wieder besser in den privaten Arbeitsmarkt integriert werden, wodurch die zukünftige Kapazitätsrestriktion sogar gelockert werden würde.

Welchen Beitrag kann die MMT leisten, um die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich wieder zu stoppen oder gar zu verengen?

Zunächst einmal zeigt eine MMT-Analyse, dass man den ärmeren Bevölkerungsschichten helfen kann, ohne zuvor den reicheren ihr Geld abzunehmen. Solange es Arbeitslose gibt, die grundsätzlich in der Lage sind zu arbeiten, können wir sie auch beschäftigen, weil es keine bindenden finanziellen Restriktionen gibt. Wir könnten also auch die Beschäftigung in zukünftigen Schlüsselsektoren wie der Pflege ausbauen. Da Arbeitslosigkeit die bedeutendste Ursache von Armut ist, kann man hiermit schon eine Menge erreichen. Wir können die staatlich Angestellten zudem angemessen bezahlen. Der Mindestlohn eines staatlich garantierten Jobs für jeden zu menschenwürdigen Bedingungen und Arbeitszeiten würde eine Lohnuntergrenze definieren. Wer würde schon bei einem Paketzusteller arbeiten, wenn er dort unbezahlte Überstunden machen muss und zudem noch einen Lohn erhält, der unter dem der Jobgarantie liegt? So kann man die Lohnspreizung im unteren Bereich der Löhne, die von der Agenda-Politik erzeugt wurde, effektiv zurückfahren. Zudem müsste niemand mehr einen Job annehmen, dessen Arbeitsbedingungen inakzeptabel sind. Dadurch würden die Preise für einfache Dienstleistungen ggf. etwas ansteigen. Diese sind im internationalen Vergleich in Deutschland aber ohnehin deutlich zu niedrig. Einige Jobs könnten auch wegfallen. Dies ist aber ein völlig normaler, ja sogar wichtiger Vorgang in einer funktionierenden Marktwirtschaft. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, den marktüblichen Lohn zu bezahlen (und marktübliche Arbeitsbedingungen anzubieten), sollten von ihren Konkurrenten verdrängt werden. Übrig bleiben dann diejenigen Unternehmen, die besser organisiert sind oder die besseren Technologien verwenden, und nicht die, die den geringsten Lohn zahlen. Dies fördert den Wettbewerb der Ideen statt den der Skrupellosigkeit. Das alles wird aber nicht reichen, um die Schere zwischen Arm und Reich wieder zu verengen. Die Vermögenskonzentration hat ein Ausmaß erreicht, das man vermutlich nur durch zusätzliche Besteuerung wird korrigieren können. Man benötigt die Steuern zwar nicht, um Ausgaben zu finanzieren, aber man kann Steuern einsetzen, um Entwicklungen zu korrigieren, die gesellschaftlich nicht gewünscht sind und letztlich auch die Demokratie gefährden können.

Welchen Beitrag kann die MMT leisten, um eine ökologische Transformation der Wirtschaft voranzutreiben?

Wir wissen ja seit Langem, was zu tun ist. Es fehlt nur am politischen Willen, die Erkenntnisse umzusetzen. Und dies liegt vor allem daran, dass sich Politik und Gesellschaft jahrzehntelang eingeredet haben, dass wir uns eine schnelle Transformation der Wirtschaft schlicht nicht leisten können. Die MMT zeigt, dass ein Staat mit einer souveränen Währung aber nicht so betriebswirtschaftlich denken muss. Solange wir das Know-how, die Technik und die verfügbaren Arbeitskräfte haben, können wir die ökologische Transformation angehen. Und es wird uns allen dadurch besser und nicht schlechter gehen als in den letzten Jahrzehnten. Die MMT kann hier eine positive Erzählung bieten, die man der bisherigen Abwägung zwischen Wohlstand und Umwelt entgegensetzen kann. Nur so kann man eine Mehrheit in der Bevölkerung für Umweltpolitik begeistern.

Lässt sich die MMT im Euro-Raum überhaupt umsetzen, wo ja kein Staat, sondern die Europäische Zentralbank (EZB) das Geld „druckt“?

Die Probleme mit dem derzeitigen Euro-System sind zu umfangreich, um diese mal eben kurz aufzuführen. Dirk Ehnts und ich haben dazu im „Wirtschaftsdienst“ kürzlich einen längeren Artikel veröffentlicht. Solange die EZB mitspielt, können die Mitgliedsstaaten des Euro-Raums nicht pleitegehen. Und solange der Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgesetzt ist, können sie so viel ausgeben, wie sie wollen. Derzeit ist beides der Fall, jedoch besteht die Gefahr, dass sich dies nach der Pandemie wieder ändert. Erst wenn es ein europäisches Finanzministerium gibt, das mit der EZB zusammenarbeitet und bereit ist, sich zu verschulden, um den Großteil der staatlichen Ausgaben in den Mitgliedsländern zu übernehmen, können wir nationale Staatshaushalte begrenzen. In den USA wird ja auch der Großteil der staatlichen Ausgaben auf der Bundesebene getätigt. Davon sind wir aber meilenweit entfernt. Zudem müsste sich zunächst die Austeritätsideologie der Euro-Zone grundlegend ändern. Solange dies nicht der Fall ist, sollten wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt dauerhaft außer Kraft setzen und die EZB dazu verpflichten, die Zinsen aller Staatsschulden des Euro-Raums auf dem gleichen niedrigen Niveau zu stabilisieren, um so die Zahlungsfähigkeit der Mitgliedsländer zu gewährleisten. Die derzeitigen Entwicklungen stimmen vorsichtig optimistisch, aber es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Herr Dr. Paetz, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipp

Dirk Ehnts
Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive
Metropolis, Neuauflage September 2020
282 Seiten, 19.80 Euro
978-3-7316-1433-3

 

 


Onlinetipps

Dirk Ehnts, Michael Paetz
Wie finanzieren wir die Corona-Schulden?
Wirtschaftsdienst, März 2021
www.t1p.de/i0j7

Christine Bergmann
Wieviel Schulden verträgt der Staat?
BR Radio, 02.03.2021
www.t1p.de/y7fv

Dirk Ehnts, Michael Paetz
Die Modern Monetary Theory: Staatsschulden als Steuergutschrift
DIW Berlin, April 2019
www.t1p.de/kj4p