Günther Brendle-Behnisch hielt in Coburg den Einführungsvortrag. – Foto: ÖDP

Wirtschaft & Soziales

Finanz- und Geldpolitik trifft Arbeit und Soziales

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Am 21. und 22. Mai 2021 führte die ÖDP ihr zweites Symposium zur Wachstumskritik durch – wie schon beim ersten Symposium in Coburg. Den Livestream im Internet verfolgten bis zu 800 Menschen. Acht Experten diskutierten über die Frage, wie sich unser Wirtschaften ändern muss, damit auch unsere Enkel einen bewohnbaren Planeten vorfinden. Ein persönlicher Bericht

von Günther Brendle-Behnisch

 

Das Themenfeld „Finanz- und Geldpolitik“ mit dem Themenfeld „Arbeit und Soziales“ zu kombinieren, liegt nicht unbedingt auf der Hand, aber die Notwendigkeit, nicht nur Forderungen aufzustellen, sondern auch nach den Erfordernissen zu fragen, damit man das Geforderte – bis hin zur Finanzierbarkeit – schließlich auch in die Praxis umsetzen kann, rechtfertigt diese thematische Kombination durchaus. Und da es ja auch immer um das Themenfeld „Natur- und Klimaschutz“ geht, wurde daraus ein thematischer Dreisprung, der sich auch in der Zusammensetzung der Referenten widerspiegelt.

Für „Finanz- und Geldpolitik“ konnten wir kurzfristig den renommierten Ökonomen Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, sowie Dirk Ehnts als Vertreter der „Modern Monetary Theory“ (MMT) gewinnen; für „Arbeit und Soziales“ Andreas Krampe vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Kurt Rieder von der Agentur für Arbeit und Ulrich Schachtschneider; für „Natur- und Klimaschutz“ Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Dokumentarfilmerin Alexandra Schneider und der Schriftsteller Björn Kern haben die Veranstaltung immer wieder geerdet, abgerundet und ihr den besonderen Charme verliehen. Mit der bewährten Moderation durch Uwe Brückner war der Erfolg der Podiumsdiskussion und der Auswertung der Workshops nahezu garantiert.

Geldmenge, Ungleichheit und Umverteilung

Dirk Ehnts stellt in seinen Ausführungen fest, dass der bisher vertretene Zusammenhang von niedrigen Zinsen und hoher Inflation oder hohen Zinsen und schnellerer Umverteilung von unten nach oben zumindest so direkt nicht mehr behauptet werden kann. Die gegenwärtige Nullzinsphase hat – entgegen der Lehre – weder zu einer erhöhten Inflation geführt, noch hätte sie weniger neue Reiche produziert. Das Gegenteil war der Fall. „Die Frage der sozialen Ungleichheit sollte man von der Frage des Zinses trennen“, betonte er.

Auch die Idee, dass hinter dem Geld immer ein Realwert stecken müsste, ist nicht einfach gut oder schlecht, denn bereits bei Transferzahlungen wie dem Kindergeld steht der Leistung des Staates erst einmal kein realer Wert gegenüber – und das passiert täglich. Natürlich haben wir gegenwärtig ein Vielfaches an Geldmenge gegenüber dem jeweiligen Realwert. Problematisch wird es aber erst dann, wenn große Konzerne oder Superreiche durch Spekulation und Kursgewinne erworbenes Vermögen – also ohne realen Gegenwert – z. B. auf dem Wohnungsmarkt in reale Werte umsetzen, ganze Wohnungsbaugesellschaften aufkaufen und die Preise auf dem Wohnungsmarkt in die Höhe treiben. Ab genau diesem Moment wird die Ungleichverteilung wirksam, weil dann Menschen mit durchschnittlichem Einkommen nicht mehr mithalten können.

Hier kann nur mit massiven staatlichen Eingriffen Abhilfe geschaffen werden. Der Rückzug des Staates aus vielen sozialen Bereichen – in diesem Beispiel Verkauf von sozialen Wohnungsbaugesellschaften – kommt einem Rückzug aus der Verantwortung für die Verteilungsfrage gleich. Das kann nur über eine Besteuerung der Reichen und die Umverteilung an die Armen wieder behoben werden.

Strukturwandel und Sozialverträglichkeit

Heiner Flassbeck setzt bei der Klimaerwärmung an. Die ist Sache der Klimaforscher – und deren Aussagen sollten wir vertrauen. Alles Weitere ist jedoch Ökonomik. Eine zentrale Frage: Wie verändert sich eine Zivilgesellschaft, die auf fossile Energie angewiesen ist, wenn sie nun kaum oder gar keine fossile Energie mehr verbrennt? Die Antwort darauf hängt vom ökonomischen Modell ab. Das gegenwärtige führt sicher nicht zum Ziel und ist nicht in der Lage, diese Transformation zu bewältigen.

Wir müssen einen Strukturwandel in Gang setzen. Das geht in einer Marktwirtschaft über die Preise. National kann man hier und dort zwar etwas verbieten oder Subventionen geben, aber global kommen wir nicht daran vorbei, den Strukturwandel über immerfort steigende Preise voranzutreiben. Das allerdings liefert die Marktwirtschaft niemals von alleine. Da muss der Staat bzw. müssen die Staaten massiv einschreiten. Es gilt, den Markt für fossile Energie quasi auszuhebeln und durch nicht-fossile Energien zu ersetzen. „Die Staatengemeinschaft muss dafür sorgen, dass Öl, Kohle und Gas in der Erde bleiben“, sagte Flassbeck. Dafür braucht es stetig steigende Preise, aber ebenso eine entsprechende Übereinkunft von Anbietern und Nachfragern – und zwar international.

Steigende Preise aber sorgen wiederum für enorme Härten für die ärmere Bevölkerung – bei uns und vor allem in Entwicklungsländern. Deswegen darf die ökologische Transformation nicht ohne soziale Absicherung geschehen. Es braucht eine Umverteilung von oben nach unten. Es braucht einen Plan, wie mit den durch den massiven Strukturwandel erzeugten Arbeitslosen umzugehen ist. Und den Entwicklungsländern muss wesentlich stärker geholfen werden, als das heute der Fall ist. Es braucht eine ganz andere Wirtschaftspolitik. Damit das international passiert, „muss jemand wie Deutschland in die Bresche springen und das in den internationalen Foren vortragen“.

Grundeinkommen versus Grundsicherung

Nachdem bereits die beiden Wirtschafts- und Finanzexperten die Lösung der sozialen Frage als unabdingbar für die Lösung der Gesamtproblematik skizziert haben, stecken die Sozialexperten Andreas Krampe, Kurt Rieder und Ulrich Schachtschneider den Rahmen noch einmal überraschend anders ab: Die heutige Grundsicherung ist keine Versicherung gegen sozialen Abstieg, sondern bestenfalls ein Durchfüttern und Ruhigstellen – darüber sind sich zumindest Krampe und Rieder einig. Es muss um mehr gehen als nur finanzielle Ausstattung. Um mehr als um Bedürftigkeitsprüfungen und Geldzuwendungen an die Antragsberechtigten. Es muss endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werden.

Das gilt ganz besonders in der aktuellen Corona-Situation, wo mehr und mehr bislang ordentlich Situierte, Soloselbstständige, Einzelunternehmer, Freischaffende usw. in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und dringend Hilfen brauchen. Da gelten Hartz-IV-Empfänger plötzlich als abgesichert, weil andere, die sich bisher immer selbst geholfen haben, das nicht mehr tun können. Damit braucht es mehr als die bisherigen Lösungen. Dieses „Mehr“ ist für Schachtschneider ein „ökologisches“ Grundeinkommen. „Ökologisch“ deshalb, weil es durch Öko-Steuern und -Abgaben zumindest mitfinanziert werden soll.

Auch Rieder sieht die Notwendigkeit eines wie immer gearteten Grundeinkommens, allerdings nicht in der von Schachtschneider anvisierten Höhe, sondern langsam aufbauend, finanziert als Öko-Dividende, die an die Bevölkerung zurückerstattet wird: eine ökologische Umverteilung. Die wäre auch ein Ausgleich für steigende Kosten durch Öko-Steuern und -Abgaben sowie das Umstellen auf ökologischere Produktionsmethoden, die ihren Preis haben. Doch dieser Preis spiegelt den wahren ökologischen Preis wider und wälzt diesen nicht auf die Zukunft, den globalen Süden oder die Natur ab.

Einig waren sich die drei, dass die rein finanzielle Zuwendung nicht genug ist. Ermöglicht werden muss eine echte aktive Teilhabe am Leben, an der Gesellschaft und auch an der ökologischen Transformation. Das bisherige System hat die Menschen abgefüttert und ruhiggestellt – und damit in die Passivität abgeschoben. Ein Ergebnis sind Langzeitarbeitslose, die man – wenn überhaupt – nur sehr schwer wieder in den Arbeitsprozess und damit auch in die gesellschaftliche Mitte zurückholen kann. Rieder fordert: „Jeder Mensch muss auch ein Recht auf Beschäftigung haben. Das gehört zur Teilhabe – und ist nicht gegen ein Grundeinkommen. Beides gehört zusammen, gehört zur Solidarität.“

Auch Schachtschneider sieht das so: „Jeder Mensch braucht Arbeit, auch um anerkannt zu werden. Das sieht man schon an der gegenwärtigen Aufteilung: Erwerbsarbeit ist das eine, der größere Teil aber ist nicht-monetäre Arbeit. Und es stellt sich die Frage: Bin ich zur Arbeit gezwungen oder mache ich das aus eigenem Interesse? Das hat gravierende Folgen für mich selbst, aber auch für die Ökologie. Wer unzufrieden Arbeit macht, wird nicht auf Natur und Umwelt Rücksicht nehmen, wer dabei zufrieden ist, nimmt auch selbst Rücksicht auf andere, auf die Natur.“

Es muss hier also ein Umdenken erfolgen: Wir brauchen eine Neudefinition von Arbeit. Die muss ein Recht auf authentische Arbeit beinhalten, dazu zeitliche Freiräume, aber auch eine ökonomische Absicherung.

Devise: Gut leben statt viel haben

Auch Olaf Bandt fordert einen Umbau der Gesellschaft: klare, absolute Grenzen für den Verbrauch, denn „wir haben nicht drei, sondern nur einen Planeten“. Politik muss sich darum kümmern, dass auch für kommende Generationen genügend da ist. Bandt nennt dies „sozial-ökologische Gemeinwirtschaft 2.0“. Und meint damit eine Wirtschaft, die nicht einfach so wächst, sondern sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Beispiel: Der Ausbau erneuerbarer Energien sollte in Bürgerhand und als gemeinschaftliches Projekt erfolgen.

Die neue Devise muss lauten: „Gut leben statt viel haben!“ Das Projekt „gesellschaftliche Transformation“ landet letzten Endes bei der sozialen Frage, die nicht unabhängig von der ökologischen und der ökonomischen behandelt werden darf. Das ÖDP-Motto „Weniger ist mehr“ löst bei Bandt zwiespältige Gefühle aus, denn er möchte eigentlich nicht weniger, sondern mehr machen. Der BUND ist ein Mitmachverband und will noch mehr bewegen. Umsteuern kann eine lustvolle Tätigkeit sein, die mehr Gemeinschaft und mehr Aktivität bedeutet.

Neue Lebenslust durch Lebenssinn

Das wiederum ist Wasser auf den Mühlen von Alexandra Schneider und Björn Kern: Die Transformation in eine neue Gesellschaft, die mit dem Gesamtumbau der Wirtschaft zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft einhergehen muss, ist nicht wirklich von Verzicht geprägt, sondern von einer neuen Lebenslust. Von einer Lust auf ein einfacheres, aber sinnstiftendes Leben. Auf ein Leben in einer größeren individuellen Gestaltungsfreiheit, im sozialeren Umgang miteinander, die – befreit von materiellen Zwängen des Immer-mehr-haben-Müssens – die Menschen dazu befreit, zu sich selbst, aber auch zum Nächsten und zu ihrer Mitwelt zu finden, und im Einklang mit dieser ganzen Schöpfung von einer Generation zur anderen gut leben kann.

Fazit: Der Weg ist klarer geworden

Das zweite Coburger Symposium hat einen bunten Blumenstrauß an verschiedenen Themen, Inhalten und Herangehensweisen gebunden und trotzdem zu einer Ganzheit gefunden, die den zu gehenden Weg aufzeigte. Das darf als zwar noch vorläufiges Fazit durchaus festgestellt werden – die gründliche Auswertung soll ja erst noch erfolgen. Auf alle Fälle hat sich die viele Arbeit gelohnt und darf als ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer enkeltauglichen ökologisch-sozialen Marktwirtschaft gewertet werden.

 


Buchtipp

Günther Brendle-Behnisch, Claudius Moseler, Christoph Raabs (Hrsg.)
Wirtschaft ohne Wachstumszwang
Manifest einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft
Tectum, März 2021
324 Seiten, 38.00 Euro
978-3-8288-4620-3

 


Onlinetipps

ÖDP
2. Symposium zur Wachstumskritik
Coburg, 21.05.2021
YouTube, 3:22 Stunden
www.t1p.de/1gh0

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1. Symposium zur Wachstumskritik
Coburg, 24.01.2020
YouTube, 2:59 Stunden
www.t1p.de/yqbk

Günther Brendle-Behnisch
Auf dem Weg zu einem enkeltauglichen Wirtschaftssystem
ÖkologiePolitik, 18.01.2021
www.t1p.de/oj76