Aufgrund der hohen Attraktivität seines öffentlichen Nahverkehrssystems fahren in Hongkong trotz der hohen Bevölkerungsdichte nur sehr wenige Autos. – Foto: AndyLeungHK/pixabay.com

Bauen & Verkehr

Lernen von Hongkong

Diesen Beitrag teilen

Dass in Deutschland der umweltschädliche Autoverkehr so dominiert, liegt auch an der Unattraktivität des öffentlichen Verkehrs und an dessen hohen Fahrpreisen. Wie es anders gehen kann, zeigt Hongkong. Hier finanzierte sich die Schienenverkehrsinfrastruktur quasi selbst – was ein hochattraktives Angebot mit niedrigen Fahrpreisen ermöglichte.

von Prof. Dr. Dirk Löhr

Das Thema „Verkehrswende“ ist nicht zuletzt auch eine Frage nach der Preiswahrheit im Verkehr. Es geht zum einen um die ökologischen Folgen, die der Verkehr verursacht: CO2-Emissionen, Zersiedlung, Landschaftszerschneidung, Artenrückgang usw. Zum anderen um die sogenannten „relativen Preise“ zwischen dem motorisierten Personenindividualverkehr – kurz: dem Auto – und dem öffentlichen Verkehr. Die müssen sich ändern: Das Autofahren muss im Verhältnis zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel teurer werden. Das könnte über eine CO2-Steuer oder die Einbeziehung des Verkehrssektors in den Emissionshandel geschehen. Geeignete soziale Kompensationsmechanismen sind dabei anzuraten.

Grenzkostenpreise

Das Thema „Preiswahrheit“ geht aber noch weiter: Die Wohlfahrt wird am besten durch sogenannte „Grenzkostenpreise“ optimiert. Mit dem für Laien etwas seltsam klingenden Begriff „Grenzkosten“ sind in der Mikroökonomik die Kosten gemeint, die durch die Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit eines Produkts entstehen. Auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bezogen bedeutet das: Ein Fahrgast sollte nur für die Kosten zahlen, die durch seine Nachfrage zusätzlich verursacht werden: für vermehrten Verschleiß, Personalbedarf, Energiebedarf usw.

Tatsächlich zahlen Reisende insbesondere in Fernverkehrszügen aber einen an den sogenannten „Vollkosten“ orientierten Fahrpreis. Hierin enthalten sind auch die fixen Kosten der Infrastruktur, vor allem die Kosten der Bahntrassen und der Bahnstationen. Das macht eine Bahnfahrt im Vergleich zu einer Autofahrt teurer. Denn ein Autofahrer nimmt vor allem die Spritkosten wahr – und wenn er weiter denkt noch die Wertminderung seines Autos für jeden gefahrenen Kilometer. Das führt dazu, dass Menschen, wenn sie sich ein Auto angeschafft haben, dann bevorzugt mit diesem und nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Die dadurch entstehenden Lenkungswirkungen sind fatal. Verliert die Bahn Marktanteile ans Auto, erhöhen sich ihre Durchschnittskosten, weil sich die fixen Infrastrukturkosten auf eine geringere Anzahl von Personenkilometern verteilen. Die Folge: entweder ein höherer Ticketpreis oder ein höheres Defizit des Verkehrsträgers, das dann irgendwie ausgeglichen werden muss. Die Nachteile der Schiene gegenüber der Straße perpetuieren sich.

Angebotsmonopol

Darauf, dass der marktwirtschaftliche Wettbewerbsmechanismus diese Probleme löst, sollte man beim Schienenverkehr besser nicht vertrauen. Denn zumindest beim Schienennetz handelt es sich um ein sogenanntes „natürliches Monopol“: Wettbewerb würde hier insgesamt zu höheren Kosten führen als das Angebot durch einen einzelnen Anbieter. So wären z. B. parallel laufende Straßenbahnnetze konkurrierender Anbieter ökonomischer Unfug. Ein Monopolist kann die hohen Eingangskosten der Investition in die Infrastruktur auf sämtliche Nachfrager verteilen und dadurch die fixen Kosten pro Personenkilometer entsprechend reduzieren.

Dennoch: Auch bei einem Angebotsmonopol liegen die durchschnittlichen Vollkosten oberhalb der Grenzkosten. Auch ein Monopolist würde bei Grenzkostenpreisen strukturell defizitär arbeiten, da diese die Kosten der Infrastruktur nicht decken.

Subventionierung

Das Schienennetz sollte immer durch ein dichtes Busnetz ergänzt werden, damit man von den Bahn- bzw. Straßenbahnstationen weiter öffentlich bis nahe an die eigene Haustür fahren kann. Nur ein multimodal konzipierter öffentlicher Verkehr ist attraktiv und erlaubt den Verzicht auf ein eigenes Auto. Beim Busverkehr ist die Situation etwas anders als beim Schienenverkehr, weil die Eingangsinvestitionen für die Infrastrukturen deutlich geringer sind. Doch eine rein marktwirtschaftliche Lösung würde dazu führen, dass insbesondere die peripheren Bereiche der Städte aufgrund der hier geringen Nachfrage nicht hinreichend versorgt würden. Beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird daher ein Teil der Kosten in der Regel öffentlich subventioniert.

Doch trotz der Subventionierung ist der Anteil der Nutzerfinanzierung am ÖPNV in Deutschland auch im internationalen Vergleich vergleichsweise hoch. Regelmäßig liegen die Grenzkosten fürs Autofahren unterhalb derjenigen für öffentliche Verkehrsmittel. Zudem sind Autofahrer in der Regel wesentlich flexibler und oft auch deutlich schneller am Ziel.

Sollte also die Subventionierung des ÖPNV deutlich erhöht werden? Prinzipiell ja, aber eine Subventionierung über Steuermittel ist mit dem von Politik und Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Problem verbunden, dass Steuern immer „Zusatzlasten“ hervorrufen. Denn um der Besteuerung auszuweichen, gehen die Menschen wirtschaftliche Umwege. Oder sie werden durch die Besteuerung von bestimmten Aktivitäten entmutigt. Hinzu kommen dann noch die Steuerbefolgungskosten. Liegen die Zusatzlasten durchschnittlich bei 20 %, dann bedeuten 1,0 Mio. Euro Subventionen des ÖPNV eine tatsächliche gesamtwirtschaftliche Belastung von 1,2 Mio. Euro.

Infrastrukturausbau

Um den Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiv zu machen, muss das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich erhöht werden. Fachleute sprechen hier vom „Sayschen Gesetz des Verkehrswesens“: Erst ein hinreichendes Angebot erzeugt die notwendige Nachfrage. Dies wiederum setzt künftig massive Investitionen in die Infrastrukturen voraus, welche die Basis des multimodalen Verkehrs darstellen.

Die entscheidende Frage lautet nun: Woher soll das Geld für den notwendigen ÖPNV-Ausbau kommen? Ärmere Kommunen können sich schon heute kaum Straßenbahnen leisten. Sehr viele Kommunen sind klamm. Und auch Landes- und Bundeszuschüsse wollen aus Steuern finanziert werden. Doch die Abgabenbelastung deutscher Arbeitnehmer und Verbraucher ist im internationalen Vergleich schon zu hoch, als dass man sie noch weiter strapazieren könnte.

Bodenwertzuwachs

Zur Lösung dieses Finanzierungsproblems bietet sich die Abschöpfung des durch die Infrastruktur geschaffenen Bodenwerts an. Der Zuwachs des Bodenwerts ist so gut wie nie die Folge von Leistungen der privaten Bodeneigentümer, sondern fast immer die Folge von öffentlichen Leistungen. Dennoch fällt der Bodenwertzuwachs größtenteils den privaten Bodeneigentümern zu.

Der Zusammenhang zwischen Bodenwertzuwächsen und einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ist vor allem im englischsprachigen Ausland gut untersucht. Das sogenannte „Henry-George-Theorem“ – auch die „Goldene Regel der Kommunalfinanzen“ genannt – beschreibt die Beziehung zwischen der Bereitstellung von Infrastruktur durch die öffentliche Hand sowie dem Anstieg von Bodenerträgen und Bodenwerten. Die Krux ist jedoch, dass diese Beziehung auch umgekehrt gilt: Die Bodenerträge reichen in der Regel aus, um die laufenden fixen Kosten der Infrastruktur zu finanzieren. Nicht eingeschlossen sind wiederum die Grenzkosten, die durch Gebühren abgedeckt werden müssten.

R&D in Hongkong

Wie das Henry-George-Theorem mikroökonomisch genutzt werden kann, zeigt das Beispiel der Mass Transit Railways Company (MTRC) in Hongkong. Deren Anteile liegen zu mehr als drei Vierteln in öffentlicher Hand. Im Gegensatz zur Deutschen Bahn AG handelt es sich bei der MTRC wohl um den weltweiten Spitzenreiter bezüglich Qualität, Preis und Rentabilität.

Das Erfolgsgeheimnis liegt im Konzept des „Rail and Development“ (R&D): Wird eine neue Station geplant, erwirbt die MTRC im Einvernehmen mit den Planungsbehörden vorab die umliegenden Flächen – zu einem relativ niedrigen Preis vor Entwicklungsaussicht. Die Planung erfolgt nach dem Konzept des „Transit Oriented Development“, d. h. der betreffende Ort soll am besten mit der Bahn zu erreichen sein – und mit dem Auto eher schlecht.

Wenn dann die Station sowie umliegend Geschäfts- und Wohngebäude entstehen, wird der Standort kräftig aufgewertet. Die MTRC verdient hieran und finanziert damit die Fixkosten ihrer Infrastruktur. Die Fahrgäste zahlen in der Folge einen an den Grenzkosten orientierten Preis. Abgerundet wird dieses Konzept durch einen attraktiven Straßenbahn- und Busverkehr, der mit dem Zugverkehr und dessen Taktung genau abgestimmt ist. Auf diese Weise ist es Hongkong gelungen, rund 90 % seines gesamten Verkehrs auf den ÖPNV zu verlagern.

Übertragbarkeit

Natürlich sind in Deutschland die Möglichkeiten für eine Übertragbarkeit der R&D-Strategie beschränkt. Prinzipiell steht erst einmal das Privateigentum an Grund und Boden entgegen – Hongkong hat hier andere rechtliche Voraussetzungen. Dennoch könnten staatliche und kommunale Bahnen bzw. deren kommunalen Träger vom R&D lernen und, anstatt wie in der Vergangenheit ihre Flächen „auf Teufel komm raus“ zu privatisieren, einen strategischen Bodenvorrat an potenziell attraktiven Standorten bilden. Kommunale Verkehrsträger könnten sich so zumindest in Richtung R&D bewegen.

Eine gute Möglichkeit für die Kommunen würde sich auch über die Länderöffnungsklausel bieten, die im Rahmen der Grundsteuerreform vereinbart wurde. Den Ländern steht es frei, statt des Bundesmodells auch eine Bodenwertsteuer einzuführen. Deren Erträge könnten – wenn sie eine entsprechende Höhe haben – zumindest teilweise für die Finanzierung der fixen Kosten des kommunalen ÖPNV verwendet werden.

Das Gegenargument lautet, dass Steuern nicht zweckgebunden seien: das sogenannte „Nonaffektationsprinzip“. Und dass dies Gegenstand des politischen Gezerres werden könnte, was eine langfristig angelegte, sichere Finanzierung der Infrastruktur unmöglich macht. Ohne hier in eine verfassungsrechtliche Diskussion eintreten zu wollen: Das Nonaffektationsprinzip kann gesetzlich eingeschränkt werden. Und dies sollte insbesondere bei der über das „Äquivalenzprinzip“ begründeten Bodenwertsteuer möglich sein. So wurde z. B. auch ein Teil der Mineralölsteuer einer Zweckbindung unterzogen: dem Straßenbau.

Fazit und Ausblick

Das Ziel, mehr Verkehr weg von der Straße hin zum ÖPNV zu bringen, muss über ein Bündel von Maßnahmen geschehen, die Bestandteil einer integrierten Strategie sind. Erstens muss die Planung von Städten ÖPNV-freundlicher als bisher erfolgen. Zweitens muss es im Verkehr mehr Preiswahrheit geben, was insbesondere eine Rückführung der bislang auf die Gemeinschaft ausgelagerten Kosten auf den motorisierten Individualverkehr sowie eine stärkere Orientierung des ÖPNV sowie des Fernverkehrs der Bahn an Grenzkostenpreisen bedeutet. Drittens ist das Angebot an ÖPNV-Leistungen deutlich auszuweiten.

Zur Infrastrukturfinanzierung bietet es sich an, die Bodenerträge zu verwenden, die aufgrund eines verbesserten ÖPNV-Angebots regelmäßig ansteigen. Werden sie nicht von der öffentlichen Hand abgeschöpft, dann fallen sie den Grundeigentümern ohne jede Gegenleistung zu. Die (abgaben-)rechtlichen Voraussetzungen, dass Kommunen eine derartige Strategie überhaupt verfolgen können, müsste die Politik freilich erst noch schaffen.


Onlinetipps

Dirk Löhr
Deutsche Bahn AG: Unternehmen Zukunft oder Auslaufmodell auf dem Abstellgleis?
Humane Wirtschaft, 23.09.2014
www.t1p.de/bxpu

Interview mit Dirk Löhr
„Der Boden stellt eine gigantische Umverteilungsmaschinerie dar“
ÖkologiePolitik, 18.10.2017
www.t1p.de/p0nu