Der größte Datenverstoß in der Geschichte
29. Dezember 2025
WhatsApp, für viele der wichtigste Messenger überhaupt, wird von über 3,5 Mrd. Menschen genutzt. Doch kaum jemand wusste, dass sämtliche Accounts bis vor Kurzem praktisch ungeschützt abrufbar waren. Nicht gehackt, nicht geknackt – sondern offen zugänglich für jeden, der es darauf anlegte.
von Thomas Löb
Forscher der Universität Wien und des österreichischen Unternehmens SBA Research haben erfolgreich auf alle bestehenden WhatsApp-Accounts zugegriffen. Sie waren in der Lage, 3,5 Mrd. Nutzer-Profile zu sehen und zu analysieren: Telefonnummern, Profilbilder, Zeitstempel, Infofelder, öffentliche Schlüssel – ein globaler Datensatz historischen Ausmaßes. Und Meta? Schwieg. Ein ganzes Jahr.
Der Ursprung des Problems lag im Kern der App: in der Contact-Discovery-Funktion, die prüft, ob eine Telefonnummer WhatsApp nutzt. Eigentlich harmlos – doch ohne strikte Abfragebegrenzung und ohne wirksames Monitoring wird dieses System zum idealen Werkzeug für Massenabfragen. Genau das nutzten die Forscher aus: Sie konnten über 100 Mio. Nummern pro Stunde abfragen, völlig legal, ohne IP-Verschleierung, denn sie nutzten die rechtmäßige Open-Source-Implementierung WhatsMeow.
Telefonnummern, Gesichter, Aktivitätsmuster
Zwischen Ende 2024 und Anfang 2025 durchsuchte das Team 63 Mrd. mögliche Telefonnummern. Ergebnis: 3.546.479.731 bestätigte WhatsApp-Konten aus 245 Ländern und Territorien. Dazu öffentliche Schlüssel, Profiländerungszeitstempel, Informationen über Gerätetypen, die Zahl verbundener Geräte – und Millionen Profilbilder. Allein in Nordamerika luden sie 77 Mio. öffentlich sichtbare Fotos herunter, insgesamt 3,8 Terabyte. In zwei Dritteln davon war ein Gesicht erkennbar. Die Grundlage für globale Telefonnummer-Gesicht-Datenbanken war damit geschaffen.
Die Daten legten darüber hinaus offen, wie viele Menschen WhatsApp trotz staatlicher Verbote nutzen: 2,3 Mio. in China, 60 Mio. im Iran, 1,6 Mio. in Myanmar, 5 in Nordkorea. In solchen Ländern ist die bloße Existenz eines Accounts potenziell lebensgefährlich.
Auch intime Details traten zutage: politische Positionen, sexuelle Orientierung, religiöse Zugehörigkeit. Viele Infofelder enthielten E-Mail-Adressen, darunter Regierungs- und Militärdomains. Manche warben offen mit Drogengeschäften. Und in Millionen Fällen tauchten identische öffentliche Schlüssel auf mehreren Geräten auf – ein starkes Indiz für organisierte Betrugszentren, insbesondere in Myanmar und Nigeria.
Ein weiteres Problem: Nutzer, die aus Sicherheitsgründen ihre Telefonnummer wechselten, erhielten nicht immer einen neuen Profilschlüssel. Für Personen, die vor Stalkern, Ex-Partnern, organisierter Kriminalität oder staatlichen Behörden fliehen, ist das ein gravierendes Risiko. Die Empfehlung der Forscher: Nicht nur die Nummer wechseln, sondern das alte Konto vollständig löschen!
Die gute Nachricht: Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hielt. Die Chat-Inhalte selbst blieben geschützt. Die schlechte: Metadaten sind oft genauso wertvoll wie Nachrichten. Gesicht, Telefonnummer, Aktivitätsmuster – genug für Doxing, staatliche Überwachung, Betrug, Spam und umfassendes Profiling.
Meta reagiert auf Datenleck nur sehr langsam
Meta bezeichnet die massenhafte Datenerhebung als bloßes „Scraping“. Doch die Risiken sind real. Und Metas Reaktion? Zunächst gar keine. Erst kurz vor Veröffentlichung der Studie begann das Unternehmen zu handeln: Die Abfragerate wurde begrenzt, Machine-Learning-Erkennung ergänzt, Zeitstempel bei Profilbildern entfernt, die Vergabe öffentlicher Schlüssel verbessert und ein lebenslanges Limit für Abfragen eingeführt.
Doch zentrale Probleme bleiben bestehen. Die Forscher empfehlen, Profilbilder und Infofelder zu verschlüsseln – so, wie es Signal seit Jahren vormacht. WhatsApp schützt eure Chats, aber nicht euer öffentlich sichtbares Profil.
Für Nutzer bedeutet das: Überlegt genau, welche Informationen ihr in Profilbild und Infofeld preisgebt! Wenn ihr aus Sicherheitsgründen die Nummer wechselt: Löscht das alte Konto vollständig! Rechnet zudem mit mehr Spam- und Betrugsversuchen!
Der Vorfall zeigt vor allem eines: Sicherheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Die Wiener Forscher haben offengelegt, wie trügerisch das Vertrauen in große Plattformen sein kann – und wie dringend echte Transparenz und kontinuierliche Überprüfung nötig sind.
Bleibt die Frage: Bleibt Ihr nach diesem Datenleck bei WhatsApp? Oder ist es Zeit für Alternativen?
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