Infostand im Herborner Stadtzentrum: Die Bürger zeigen sich der ÖDP gegenüber sehr aufgeschlossen. – Foto: Frank Deworetzki

Kommunalpolitik

„Die Bürger sind hier skeptisch gegenüber den Grünen“

Im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis liegt die Stadt Herborn mit 20.000 Einwohnern. In ihrer 37-köpfigen Stadtverordnetenversammlung ist die ÖDP mit 1 Mandat vertreten. Und im Stadtteil Uckersdorf stellt sie den Ortsvorsteher.

Interview mit Frank Deworetzki

ÖkologiePolitik: Herr Deworetzki, wie ist denn die Situation der ÖDP in der hessischen Kommunalpolitik?

Frank Deworetzki: Wir haben in Hessen insgesamt 144 Mitglieder, keine Kreis- und erst recht keine Ortsverbände – aber trotzdem 6 Mandatsträger. Unser Ziel ist es, bei den nächsten Kommunalwahlen – die übrigens eine Woche nach den bayerischen Kommunalwahlen stattfinden – 10-12 Mandatsträger zu erreichen. Dafür führe ich derzeit umfangreiche Schulungen über die Kommunalpolitik durch – Schwerpunkte: Ortsbeirat und Stadtparlament. Die Schulungen sind sehr gut besucht. Ihr Ziel ist es, die Interessierten so fit zu machen, dass sie in einem Wahlkampf bestehen können, nicht an Formalien scheitern und sich mit einem gut durchdachten Programm von den politischen Marktbegleitern unterscheiden.

Wie haben Sie es in den Gemeinderat von Herborn geschafft?

Über eine unabhängige Liste – wie alle ÖDPler in Hessen. Für eine eigene Liste sind 13 Parteimitglieder notwendig. So viele haben wir weder in Herborn noch anderswo.

Wie ist Ihr Gemeinderat zusammengesetzt?

Von den 37 Sitzen der Stadtverordnetenversammlung, wie das hier offiziell heißt, hat die CDU als stärkste Partei 11 Sitze, gefolgt von der SPD mit 8, den Grünen mit 6, der Freien Wählergemeinschaft mit 5 sowie der Sozialgruppe Herborn (SGH), der FDP und der AfD mit jeweils 2. Bei der SGH bin ich dabei. Da die AfD bei der Bundestagswahl auf über 20 % kam, fürchten viele, dass sie bei den Kommunalwahlen noch besser abschneidet.

Wie kommt es, dass die AfD in Herborn so stark wurde?

Die AfD wird vor allem als Zeichen des Protests gewählt. Das sieht man schon daran, dass auf den Stimmzetteln nur die Liste angekreuzt wird, keine Kandidaten. Was hier für großen Unmut sorgt, sind die hohen Energiepreise, der extrem schlechte ÖPNV im ländlichen Raum und die Transformation der Wirtschaft weg von der Industrie hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Der Lahn-Dill-Kreis hatte mit Abstand die höchste Quote an Industriearbeitsplätzen in Hessen. In den letzten Jahren sind mehr als 5.000 Arbeitsplätze verloren gegangen und die lokale Politik kann nur zuschauen. Unmut und politische Radikalität sind die Folge.

Was haben Sie als ÖDPler in der aktuellen Legislaturperiode erreicht?

Einiges! Die Schaffung einer Haltestelle für Intercityzüge. Die Ausarbeitung eines Konzepts für die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Ein Verbot von Reinigungsmitteln mit Nanopartikeln in allen öffentlichen Einrichtungen. Ein Verbot von 5G-Funkmasten auf Orten mit empfindlicher Nutzung (OMeN) wie Kitas, Schulen und Krankenhäusern. Bei Neubaugebieten die Regelung, dass Zweifamilienhäuser mit jeweils 1 Sozialwohnung Vorrang vor Einfamilienhäusern haben. Und die Schaffung einer Strukturkommission zur Reduzierung der Schulden.

Welche Themen werden in der nächsten Legislaturperiode wichtig sein?

Bei knapp 70 Mio. Euro Schulden bleibt da leider wenig Handlungsspielraum. Soziale Gerechtigkeit ist nun gefragt. Fördern und fordern. Die Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung, die Verkehrsberuhigung in den Ortsteilen, vor allem in den Ortseingängen. Die Sicherung und eventuelle Erweiterung des Einkaufsangebots für die Stadtteile, die heute meist keinen Einzelhandel mehr haben. Die Ansiedlung von Gewerbebetrieben, vor allem auf Industriebrachen.

Werden Sie wieder antreten?

Selbstverständlich. Als ÖDPler auf der schon erwähnten Gemeinschaftsliste SGH und auf der Gemeinschaftsliste für den Ortsbeirat von Uckersdorf, dem ich seit 2001 angehöre und dessen Ortsvorsteher ich seit 2008 bin.

Waren Sie vor der ÖDP in anderen Parteien aktiv?

Ja, in den frühen 1980er-Jahren bei den Grünen. Nach 15 Jahren bin ich ausgetreten und kam über die SPD in den Ortsbeirat. Dort bin ich nach 7 Jahren wieder raus, weil sich CDU und SPD kaum unterscheiden. Mein Herz brennt für den ländlichen Raum und für die Ökologie. Deshalb bin ich 2014 zur ÖDP.

Warum zur ÖDP?

Wegen ihres Programms. Das hat mich überzeugt. Und das überzeugt mich nach wie vor.

Wie kommt die ÖDP denn bei den Bürgern an?

Gut. Die Bürger sind hier gegenüber der ÖDP sehr aufgeschlossen – und skeptisch gegenüber den Grünen, mit deren Themenschwerpunkten und Politikstil hier viele nichts anfangen können. Herborn ist ländlicher Raum. Da passt die ÖDP viel besser rein.

Herr Deworetzki, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.


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